Samstag, 21. Dezember 2019

"... klick, klick"


Schaubude, Mitte 20. Jh. (Sammlung Nagel)

Im 18. Jahrhundert schufen Uhrmacher mit Automaten, die menschliche Bewegungen imitierten, mechanische Meisterwerke, die Adel und Großbürgertum in Erstaunen versetzten.
Schausteller erkannten rasch das Potential solcher Androiden, und es dauerte nicht lange, bis einfachere, aber dennoch beeindruckende Automaten geschickter Mechanikusse in Gasthöfen und Schaubuden dem gemeinen Volk für kleines Geld präsentiert wurden. (siehe www.schaubuden.de, S.69ff) Auch Wachsfigurenkabinette beinhalteten oftmals Figuren, bei denen durch Münzeinwurf eine Mechanik in Gang gesetzt werden konnte, die ihnen "Leben einhauchte".
All diese Androiden faszinierten nicht zuletzt auch durch ihre in vielerlei Hinsicht verblüffende menschliche Anmutung - bis im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts ein ganz neuer Typ "Maschinenmensch" die Bühne betrat, der nicht mehr auf subtile Weise, sondern sehr direkt gleichermaßen Bewunderung und auch Unbehagen auslöste.
Diese Wesen, für die sich nach und nach der Begriff "Roboter" einbürgerte, zeigten nur noch in beängstigend verfremdeten Zügen Menschenähnlichkeit und auch ihre groben, einfachen und unbeholfen wirkenden Bewegungen betonten das Maschinenhafte und Künstliche. Auslöser für diese "Robot-Mania" war u.a. eine vordergründig naive, im Kern aber auch schon mit Ängsten und Zweifeln behaftete  Fortschrittsgläubigkeit im Zusammenhang mit umwälzenden technischen Entwicklungen. Die Popularkultur, insbesondere die Trivial- bzw. aufkommende Sciene-Fiction-Literatur sowie der Film, trug entscheidend zur Verbreitung des Maschinenmensch-Themas bei, und bald schon wurden solche Gestalten wahrhaftig zur Schau gestellt:
Einer der ersten war der 1910 von einem Herrn Whitmann präsentierte "Radiomensch Occultus" bzw. "Barbarossa", der angeblich sprechen, sitzen und laufen konnte. Die seinerzeit in vielen Zeitschriften veröffentlichte Fotografie lässt allerdings an der Funktionalität der offensichtlich allein auf ihren Schauwert ausgerichteten komplizierten Mechanik deutliche Zweifel aufkommen.
"Occultus" - Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens 1912, Bd.8

Spätere Nachfolger von "Occultus" waren demgegenüber i.d.R. tatsächliche "Maschinen-Wesen", deren Funktionen allerdings in zunehmendem Maße nicht mehr von Uhrwerken, sondern von Elektromotoren angetrieben wurden:

Schaubude, um 1950 
Televox, der Vorgänger von "Mekko", war in den 1930er Jahren u.a. im Circus Knie zu sehen.  

Mekko und sein Erbauer, der Schweizer Ingeneur Eugen Wendling

Auch August Huber, der Erbauer von "Sabor", war Schweizer.
Plakat aus der ersten Hälfte der 1950er Jahre, Sammlung Nagel

Dienstag, 11. Juni 2019

Naiver Expressionist


Walter Trier: Szene aus Ganzauges "Kasper in der Türkei" (Tafel 9)

Walter Triers große Leidenschaft für die Welt des Circus, des Varietés, des Jahrmarkts, des "Fahrenden Volks" überhaupt, umfasste auch das Puppentheater. Das Lieblingsstück seiner großen Spielzeug- und Figurensammlung war eine Kasper-Handpuppe und zweifelsfrei identifizierte sich der bekannte Illustrator ein Stück weit mit dem vorlauten, sich dem Bösen entgegenstellenden und gute Laune verbreitenden Kasper. 

Wie zu Clowns und anderen Artisten pflegte Trier auch Kontakte zu Puppenspielelern, insbesondere zu Arthur Ganzauge in Dresden, dem Trier und  Oskar Seyffert in ihrem Buch "Spielzeug" von 1922 in ganz besonderer Weise würdigten:
"Der Puppenspieler Arthur Ganzauge in Dresden ist ein ganzer Kerl. Er stellt sein Kaspertheater selber her und macht auch seine Schauspieler selber. Und seine Frau steckt sie dann in bunter Kleider. Ein berühmter Maler, der das alles sich genau angesehen hat, behauptete, Ganzauge sei ein Expressionist. Da wusste Herr Ganzauge nicht, was er dazu sagen sollte." (zu Tafel 9)

"Das muß man immer wieder sagen, der Puppenspieler Ganzauge kann wirklich
Kaspertheaterfiguren schnitzen. Wenn der Tod - er hat ein weißes Hemd an,
aber kein allzuweißes, da er doch aus der schmutzigen Erde emporsteigt - auftritt,
so fürchten sich die Kinder. Sie fürchten sich auch vor dem Räuber, der sie so
  gräßlich mit einem Auge anblickt. Wenn dann aber der Kasper kommt, da lachen
sie und jubeln und sind glücklich. Denn der mutige Kerl schlägt die beiden so
 lange tot, bis sie mausetot sind."
(Tafel 10)

Donnerstag, 28. Februar 2019

Teufelspack


Alois Greil "Wandernde Komödianten" (Kunstpostkarte)


"Die Geschäfte gingen sehr schlecht; wir erhielten oft kaum 10 Kreuzer auf den 'Teil'. Oft und oft kamen wir überhaupt nicht zum spielen, wir wurden 'Schneider'. Dies der vulgäre Ausdruck bei Schmieren, wenn die Vorstellung wegen Mangel an Besuch abgesagt werden muß. Das Elend der Truppe stieg ins Ungemessene. (...) - der Direktor hatte nicht genügend Geld zur Übersiedlung in einen anderen Ort und so waren wir gezwungen weiter zu hungern. Die Hauptursache des schlechten Geschäftsganges war der Pfarrer des Dorfes, der in jeder Sonntagspredigt seinen Gläubigen mitteilte, es wäre eine Sünde ins Theater zu gehen, namentlich da die Schauspieler gotteslästerliche Leute seien." (Alfons Bolz Feigl: Erlebnisse eines Schmierenkomödianten. Wien 1913, S.12f)


Derlei bis weit ins 20. Jahrhundert fortwirkende Ressentiments der Kirche gegen das "Fahrende Volk" beruhten nicht allein auf einem vermeintlich "unsittlichen Lebenswandel" sowie entsprechenden Inhalten der Aufführungen von Puppen- und Wanderbühnen. Tatsächlich haben sie weit zurückliegende Ursprünge, wie ein Blick auf die Spielleute, also die fahrenden Artisten, Mimen und Musiker des Mittelalters, zeigt:
Für die allgemeine Geringschätzung der mittelalterlichen Spielleute bzw. der Gaukler und Komödianten der Neuzeit zeichnete sich die Kirche letztendlich sogar entscheidend verantwortlich und rechtliche Sanktionen sowie die Haltung der Obrigkeit lassen deutlich "das kirchliche Diktat erkennen". (Wolfgang Hartung: Die Spielleute. Eine Randgruppe in der Gesellschaft des Mittelalters. Wiesbaden 1982,  S.34) Ihr Tun galt in Augen der Kirche als sündig:
"Wie Lucifer und die Seinen, (...), von Gott abgefallen (...) sind, so ist auch die letzte, niedrigste und gemeinste Klasse der Menschen 'gar von uns gefallen und abtrünnig geworden'. Das sind (...) die  Gungelleute (Possenreißer), Geiger, Tambure und wie sie alle heißen mögen, die Gut für Ehre nehmen. (...) Denn ihr ganzes Leben haben sie auf Sünde und Schande gerichtet und schämen sich keiner Sünde und Schande. Und was der Teufel zu reden verschmäht', wendet sich der Prediger nun direkt an den Spielmann, ''das redest du und alles, was der Teufel in dich schütten kann, läßt du aus deinem Munde gehen. (...) Wer als ein Spielmann in das Reich Gottes eingehen will, (...) wird draußen vor der Tür bleiben müssen, (...) nach einem in Müßiggang verbrachten Leben giebt Gott die ewige Seligkeit niemandem.'" (Theodor Hampe über die Predigt "Von zehn Chören der Engel und der Christenheit" von Berthold von Regensburg" aus dem 13. Jahrhundert: Die Fahrenden Leute in der deutschen Vergangenheit. Leipzig 1902, S.21f)
Die Spielleute stellten sich nach solchen Auffassungen gegen Gott, die göttliche Ordnung und somit gegen die mittelalterliche Gesellschaft, aus der sie folgerichtig verstoßen waren. Die "In-Beziehung-Setzung des Spielmanns zum Teufel" fand dabei  ihren Niederschlag in der Volkssage, im allgemeinen Denken sowie der bildenden Kunst.
Erst Thomas von Aquin begründete im Zusammenhang mit seiner grundsätzlich positiven Einstellung zum Spiel eine gewisse Lockerung im Verhältnis der Kirche zu den Spielleuten, die sich sittliche und religiöse Maßstäbe hielten. (vgl. Hartung, S.45)
Für die meisten Kleriker hatten jedoch die wenigsten eine Chance zum ewigen Seelenheil. Bezeichnend sind hier die um das Jahr 1300 getätigten Aussagen des Erzbischofs von Centerbury, Thomas a Cabham. Insbesondere Akrobaten und Tänzern, die sich "unzüchtig entblößten und bewegten" und durch das Tragen von Larven heidnische Relikte repräsentierten sowie die musizierenden Spielleute, "die öffentliche Trinkgelage und Festivitäten aufsuchten und die Menschen durch ihre Lieder zur Unzucht und schlechtem Lebenswandel verführten", wird jede Heilserwartung abgesprochen. (vgl. Hartung, S.38f)
Mit den Spielleuten und der Kirche "standen sich im Mittelalter Weltfreudigkeit und spiritualistisch denkende Asketiker gegenüber" (Walter Salmen: Der fahrende Musiker im europäischen Mittelalter. Kassel 1960, S.62)
Mit dem Ausschluss aus der kirchlichen Gemeinschaft waren den "Fahrenden" bis weit in die Neuzeit hinein oftmals auch die Sakramente verwehrt. Selbst dem angesehenen Schauspieler Johannes Velten wurden noch Ende des 17. Jahrhunderts Abendmahl und Sterbesakramente verweigert (vgl. Gertrud Schubert-Fikentscher: Zur Stellung der Komödianten im 17. und 18. Jahrhundert. Leipzig 1963, S.77).

Angesichts der sich u.a. in wahren "Hasspredigten" äußernden Ausmaße der auf die gesamte Gesellschaft übergreifenden und so lange fortwirkenden Vorbehalte gegen fahrende Unterhaltungskünstler muss nach deren noch tiefer liegenden Wurzeln gefragt werden:
"Der Zwist zwischen Kirche und Fahrenden reicht bis in die frühchristliche Zeit zurück." (Salmen, S.62) Gaukler und Mime waren in der Spätantike gleichermaßen verachtet. Die Ehrlosigkeit der Gaukler zeigte bereits die gleichen Auswirkungen, die auch die Spielleute des Mittelalters zu erdulden hatten: Sie waren von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen, durften keinen Eid leisten, waren Beleidigungen und gerichtlicher Willkür schutzlos ausgeliefert und wurden abseits der Begräbnisstätten begraben. Der Mime der Spätantike unterschied sich dabei weder durch seine Erscheinungsweise noch durch seine Darbietungen sonderlich vom possenreißenden Gaukler, die Grenzen waren fließend (vgl. Werner Danckert: Unehrliche Leute. Die verfemten Berufe. Bern 1963, S.214): Mit dem Niedergang der antiken Stadtkultur verfiel auch das Theaterwesen und die Mimen mussten nun ihren Unterhalt mit wenig angesehenen Possenreißereien verdienen. (vgl. Heinz Kindermann: Theatergeschichte Europas. Bd. I. Salzburg 1957, S.393)
In den Schriften der Kirchenväter wie Tertullian oder Augustinus sind "mimus" und "histrio" ständig wiederkehrende Ärgernisse. Tertullian bezeichnet Bacchus und Venus als ihre Patrone, ihnen seien "Weichheit der Gebärden und sinnliche Darstellung des menschliche Körpers zu eigen". Die damit erzeugte "leidenschaftliche Aufregung" sei sündhaft, hielt die Menschen von Gott fern, verpflichte sie zum Bösen und verbaute ihren Urhebern den Weg zu Seligkeit. (vgl. Hartung, S.30f)
Die gegen die spätantiken Mimen und Gaukler aller Art gefassten Beschlüsse wurden später ohne wesentliche Abweichungen von der Kirche auf die Spielleute des Mittelalters übertragen. (vgl.Salmen, S.63) "Bevor man noch etwas vom Mimus wusste, wusste man durch die kirchliche Literatur wenigstens schon, dass er aufs äußerste lasterhaft und schädlich gewesen sei." (Hermann Reich: Der Mimus. Berlin 1903)

Die tiefer reichenden Gründe für die Verachtung der fahrenden Unterhaltungskünstler von Seiten der Kirchenväter sowie der mittelalterlichen Theologen lagen vor allem in dem Umstand, dass sie "in den joculatores weiterwirkende Träger des von ihnen als überwunden betrachteten Heidentums erblickten" (Salmen, S.63)
Artisten als fahrende Unterhaltungskünstler waren in der Antike, insbesondere in Griechenland weit verbreitet (vgl. Reich, S.27, Hartung 1982) Aus einem Teil der Gaukler erwuchs im 4. und 5. Jahrhundert v.Chr. der antike Mimus, der jedoch immer in "Verwandtschaft zum Gaukler" stand und sich mit ihm öffentliche Plätze als Auftrittsorte teilte. (vgl. Danckert S.214) In späteren Krisenzeiten drängten sie mit fahrenden Musikanten nach Norden. Hier "passten sich die Mimen (...) dem roheren Geschmacke an und bevorzugten wieder mehr die alte Gauklerkunst". (Reich S.809f).
Im keltisch-germanischen Raum stießen sie auf den "Skop" - einerseits die Bezeichnung für höfische Preis- und Heldenliedsänger, andererseits für hochgeachtete, schamanistisch wirkende fahrende Musikanten bzw. Zaubersänger, deren Aura sich späterhin auf den zunächst noch vielfach z.B. als Heilkünstler wirkenden Spielmann des Mittelalters übertrug (dazu Salmen 1960 und Danckert 1963).
Kultische Elemente spielten bei den Vorläufern des Spielmannns im Mittelalter somit eine bedeutende Rolle. "Das Schamanenerbe, die nachklingende Kultmagie, war sicherlich der stärkste Stein des Anstoßes am Spielmannsberuf. Dieses Initialmotiv der Verfemung und Unerhrlichsprechung geriet freilich allmählich in den Hinter- und Untergrund des Bewusstseins. Die 'Leichtfertigkeit', die lockere Lebensführung, das Ungebundene, Frivole wurde Zielscheibe nicht endenwollender Kritik und Bemakelung. Doch die Verlegung der Angriffe ins Feld des Moralischen kann nicht darüberhinwegtäuschen, dass man insgeheim noch immer den 'Zauberer' und 'Geisterbeschwörer' fürchtete und hasste, (...)". (Danckert, S.252)

Vor dem Hintergrund dieser tiefgreifenden Verachtung insbesondere durch kirchliche Fundamentalisten überrascht die Beliebtheit artistischer Produktionen der Spielleute und Gaukler bei weiten Teilen des Volkes, ja selbst des Klerus. "Die ständige Wiederkehr von Ermahnungen, Warnungen, 'Aufklärung" über den wahren Charakter der Spielleute (...), zeigt, daß offizielle Lehrmeinung und Morallehre der Kirche einerseits und die Erwartungshaltung des Klerus sowie sein praktisches Verhalten andererseits weit auseinanderklaffen." (Hartung, S.47)
Tatsächlich kann man in Bezug auf die Spielleute nicht nur von "bloßer Geringschätzung und sozialer Deklassierung" sprechen: "Sie nahmen eine "seltsame Zwitterstellung zwischen tiefer Verachtung und geheimer Ehrung" ein. (vgl. Danckert, S.17ff)
Dieses ambivalente Verhältnis findet - wenn auch unter anderen Vorzeichen - seine Entsprechung in späteren romantisierenden Vorstellungen vom Leben der Fahrenden bzw. der Freude an ihren Darbietungen einerseits und tiefsitzenden Vorurteilen sowie Ausgrenzungen andererseits.

Kinderbuchtitel 1930
"Till Eulenspiegel" ist der popuärste Possenreißer, Gaukler oder
Spielmann im deutschsprachigen Raum.
Zuletzt verfrachtete Daniel Klehmann  diese weitestgehend fiktive Figur
in seinem Roman "Tyll" vom 16. ins 17. Jahrhundert,  wobei er mit vielen
vermeintlich historischen Begebenheiten des 30jährigen Krieges
 - gelinde gesagt - sehr frei umgeht und sogar den Wanderzirkus lange 
vor 
dessen Entstehung gut 200 Jahre in der Zeit zurückteleportiert. 

(Dieser Post enthält über weite Strecken Auszüge eines Kapitels meiner Examensarbeit "Fahrende Artisten in Deutschland" aus dem Jahr 1989.)