Das „Cabinet des Dr. Caligari“ im gleichnamigen Stummfilm-Klassiker von Robert Wiene aus dem Jahr 1920 ist eine Schaubude, in dem der vermeintlich weissagende „Somnambule“ Cesare auftritt.
Bild- sowie direkte und indirekte Textzitate nur unter genauer Quellenangabe! Stefan Nagel: www.schaubuden.blogspot.de
Dienstag, 25. November 2008
"Zum Schluss ist die Somnambule zu sprechen"
Das „Cabinet des Dr. Caligari“ im gleichnamigen Stummfilm-Klassiker von Robert Wiene aus dem Jahr 1920 ist eine Schaubude, in dem der vermeintlich weissagende „Somnambule“ Cesare auftritt.
Montag, 10. November 2008
Valentins Weltwunder
Valentins "Okroberfest-Schaubude". München, Kabarett Charivari 1920 Die Flöte spielt Bertolt Brecht, Karl Valentin die Tuba. Die "Rekommandeuse" an der Glocke ist Liesl Karlstadt. |
"Das Attraktionsprogramm mit Fräulein Lilly Wiesi Wiesi; das größte Weib, das je in Europa gezeigt wurde. Die Dame ist 2-3 m groß und wiegt 280 Pfund. (...) Um ihre Größe beizubehalten, isst die Dame nur längliche Speisen, wie Stangenspargel, Makkaroni, Rhabarber und Salzstangerln. Getränke muss sie sprudelnd heiß trinken, da die im Munde eingenommenen heißen Flüßigkeiten infolge der langen Speiseröhre meistens eiskalt in den Magen kommen und zu einer Magenerkältung führen könnten. (...)"
Samstag, 1. November 2008
Rheinisches Panoptikum Kommern
Montag, 29. September 2008
Affiger Gruß
Der Schausteller Traugott Petter (1907 – 1980) reiste bereits Ende der 20er Jahre mit einer Schaubude, in der er typische Attraktionen wie Riesen, Liliputaner und eine 560 Pfund schwere Kolossaldame präsentierte.
Berühmt wurde er in den 30ern mit seiner Aufsehen erregenden Schimpansenschau. Die besonderen Leistungen seiner Tiere auf der Bühne hingen sicherlich nicht zuletzt mit dem innigen Verhältnis Petters zu seinen Tieren und ihren besonderen Haltungsbedingungen zusammen: Die Tiere lebten mit der Familie zusammen im Wohnwagen und wurden nach Aussage der Kinder noch fürsorglicher behandelt als diese.
Diese tierische Parodie erregte natürlich das Missfallen der Nazis, und Petter wurde unter Androhung der „Abschlachtung“ seiner Tiere aufgefordert, ihnen den Trick wieder abzutrainieren. Der Schausteller gehorchte, trotzdem blieb die Geschichte für ihn nicht folgenlos: Er wurde an die Ostfront geschickt und seine Affen gingen vermutlich aus Trennungsschmerz einer nach dem anderen ein…
Samstag, 23. August 2008
Zille und die Piktusse
Die bescheidenen Rummelplätze am Stadtrand gehörten zu den wenigen Stätten des Vergnügens für das Berliner Proletariat in den Jahrzehnten um die vorletzte Jahrhundertwende. Hier war ein wenig Abwechslung vom tristen Alltag in den Fabriken, Mietskasernen und Hinterhöfen zu finden. Insbesondere die Schaubuden ermöglichten Einblicke in eine Welt außerhalb dieser Tristesse, eine Welt voller Exotik und Wunder.
Dabei ging es auf diesen kleinen staubigen Rummelplätzen kaum weniger bescheiden zu. Die Verdienstmöglichkeiten der Schausteller waren so gering wie die Ansprüche des einfachen Volkes im Hinblick auf Zerstreuung. Dessen Zugänglichkeit für vergleichsweise anspruchslose Attraktionen in den Singspiel-Hallen, „Spezialitätentheatern“ und Schaustellungen mutet naiv an. Im Vergleich zur alltäglichen Eintönigkeit aber hatten die lautstark beworbenen „Weltsensationen“ tatsächlich Unterhaltungswert.
Es verwundert nicht, dass dieses Treiben auf Heinrich Zille eine besondere Faszination ausübte. Er zeichnete im wahren Wortsinn ein ungeschminktes Bild des Berliner Rummels vor und hinter den Kulissen – humorvoll und in seiner eigenen Art immer auch mehr oder weniger sarkastisch.
Auf dem Rummel
"Wat schubberst de denn uff de Lola rum. -"
"Na heite als Engel mit det weiße Triko -
da scheint ja allens durch!"
Der Feuerfresser
"Ein Hundeleben! Seit drei Tagen habe ich
noch nichts Warmes in den Mund gebracht."
Als „lichtbildnerischer Notizblock“ diente ihm sein Fotoapparat. Zilles Photoplatten, die u.a. vom Treiben auf dem damaligen Vorstadt-Rummel einmalig authentische Eindrücke vermitteln, wurden erst Ende der 60er Jahre entdeckt.
Einige der gezeigten Schaubuden sind sogenannte „Piktusse“, kleinere Schaustellungen mit sehr bescheidenen Darbietungen, bei denen die Diskrepanz zwischen den Ankündigungen und dem tatsächlich Gebotenen besonders groß war. Nicht selten wurde das Publikum hier regelrecht „über den Tisch gezogen“, was dazu führen konnte, dass den Betreibern die Spielerlaubnis entzogen wurde.
So ein „Piktus“ war häufig nur Herren zugänglich. Offenherzig bekleidete Damen, mehr oder wenig offene Andeutungen des Rekommandeurs sowie „eindeutig zweideutige“ Abbildungen im Frontbereich ließen erotische Darbietungen oder gar Dienstleistungen erwarten, die i.d.R. nicht geboten wurden. Stattdessen bekam der Besucher Belanglosigkeiten zu sehen. Wollte er mehr, musste er Sonderzahlungen für sogenannte „Extrakabinette“ zahlen, die jedoch wiederum nicht das Erhoffte boten…
Bei den "Rosen aus dem Süden" handelt es sich wahrscheinlich um solch einen Piktus. Auf dem unteren Foto ist die Schaubude von "Fräulein Pauline", der "stärksten weiblichen Athletin und Kanonen-Königin der Gegenwart" zu sehen - "ohne Konkurenz" und "lebend".
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Abbildungen:
Jule Hammer: Buden, Bier und starke Frauen. Hannover 1987 (oben)
Friedrich Luft: Mein Photo-Milljöh. Hannover 1967 (unten)
....
Sonntag, 10. August 2008
Tauma
Auch mein dritter Schaubudenaushang im Stil amerikanischer Sideshow-Banner wurde von einem bekannten Renaissancegemälde inspiriert.
Tauma war eine gängige Bezeichnung für die Illusion einer lebenden Dame ohne Unterkörper, allerdings befand sie sich meistens frei schwebend auf einer Schaukel. Die recht einfache Illusion fand oft in einem mit schwarzem Samt ausgeschlagenen Kabinett statt, so dass die schwarze Hose der Dame unsichtbar war.
In der hier dargestellten Version hieß sie häufiger Fatima und war in der Regel eine Spiegelillusion.
Zur Mona Lisa passt Tauma aber ein wenig besser, finde ich.
.Die
Rechts die eigentliche "Tauma" auf einer Schaukel in einem schwarzen Kabinett "schwebend". (Sammlung Nagel)
Montag, 7. Juli 2008
Kopf ab!
Freitag, 27. Juni 2008
Schmierentheater
Der Vorhang fällt"
"Kuno von Schroffenstein: Weh mir! Ich bin verloren! Schon dringt an mein Ohr das furchtbare Schwerterklirren des feindlichen Heeres!"
Die Abbildung und der dazugehörige Text stammen aus dem Jahr 1862. Sie sind in dem wunderbaren Buch "Der Komödiantenkarren kommt. Von den Wandertheatern in Böhmen" von Lilian Schacherl enthalten. (Kempten 1967) Lilian Schacherl vermittelt kenntnisreich, ungeschminkt und sehr originell viel Wissenswertes über die reisenden "Schmierenkomödianten" vom 17. bis zum beginnenden 20. Jahrhundert. Vor allem aber klingt immer wieder etwas vom Geist des "Striese-Monologs" durch die Abhandlung, die somit auch viel von der besonderen Atmosphäre der einfachen Wandertheater vergangener Zeiten vermittelt.
Diese Theater zeigten Volks- bzw. "Rührstücke", Komödien, in die, ähnlich wie beim Marionettentheater, häufig eine komische Figur eingebunden war, sowie auch Werke bekannter Dramatiker. Sehr beliebt waren z.B. Schillers "Räuber" - auch wenn die Inszenierungen solch personalintensiver Vorlagen den kleinen Truppen einiges an Improvisationstalent abverlangten. Überhaupt nahm man es i.d.R. mit der Werktreue nicht so genau: "Da das Stück mit einem Worte zu lang und natürlich kaum auszuhalten ist, so wird heute alles das, was nicht unumgänglich zum Ganzen der Geschichte gehört, wegbleiben; man versichert zugleich, daß alles so eingerichtet ist, damit es sich zuverläßig bis gegen 9 Uhr endigt, ohne daß die Zuschauer etwas an Unterhaltung verlieren werden." (Theaterzettel der Vinzenischen Gesellschaft aus dem Jahr 1784, in Ruth Eder: Theaterzettel, Dortmund 1980, S.79)
Eine Quelle aus erster Hand stellt die höchst aufschlusssreiche Autobiographie von Alfons Bolz-Feigl "Erlebnisse eines Schmierenkomödianten" (Wien 1913) dar. Bolz-Feigl schildert zahlreiche interessante Anekdoten aus der Welt der "Schmiere, vor allem aber auch das harte Leben ihrer Schauspieler am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts, womit er sich nicht zuletzt gegen allzu humoristische, klischeehafte oder romantisierende Darstellungen in zeitgenössischen Publikationen stellte.
Ein Beispiel geben nachfolgende Zeilen samt zugehöriger Abbildung einer Ausgabe der "Fliegenden Blätter" vom Januar 1896:
"(...)
Da kommen sie her. An der Spitze des Karrens
In scheck'gem Habit kurzweil'gen Hansnarrens,
Den klappernden Klepper an hanfener Strippe,
Ein Lächeln voll Würde auf spöttelnder Lippe,
Im Auge des Stolzes vernichtenden Strahl,
Der hohe Gebieter, ihr Prinzipal.
Zusammengekauert zu seinen Füßen,
Rechts blickend, links nickend mit Handkuß und Grüßen,
Im Schooße ihr Jüngstes, das bildsauber nette,
Die fesche, beliebte, adrette Soubrette.
Den Hut bis zur Braue, dicht neben der Dirne,
Hohläugig, bleichwangig, mit furchiger Stirne,
Ganz hager und mager, kein Haar auf dem Scheitel,
Verbissen, verbittert und doch maßlos eitel,
Als schärfster der Spieler berühmt und bekannt,
In ewigem Weltschmerz: der Intregant.
Doch zuckersüß lächelnd, so schmachtend , so schielend,
Kokett mit dem Fächer von Flitterstoff spielend,
Im fränkischen Reifrock, mit schmächtiger Taille,
Die Lippen wie Kirschen, die Zähne Emaile,
Geschminkt und gepudert, ein Grübchen im Kinn,
Der Stern der Gesellschaft, die Liebhaberin.
Der Held noch, massiv, wie aus Mamor gehauen,
Starkknochig, grobmusklig, ein Günstling der Frauen;
(...)
Und unsagbar rührend von Schuld und von Sühne,
Von flammender Leidenschaft sendenden Gluthen,
Von Neides und Hasses verzehrenden Wuthen,
Von seligster Liebe und brennendem Leide,
Der gaffenden Menge zur Seelenweide,
Wird munter und frisch und höchst ungenirt
Tantièmenfrei aus dem Stegreif tragirt.
Kein Autor, Verleger und keine Agenten,
Nicht Mißgunst scheelsüchtiger Zeitungsskribenten
Verbittert dem armen Director das Leben. (...)"
Kopf eines Theaterzettels von 1878, Sammlung Nagel |
Sonntag, 15. Juni 2008
Meyerheims übelriechende Sujets
Der Tier- und Landschaftsmaler Paul Meyerheim (1842-1915) litt bereits zu Lebzeiten ein wenig darunter, dass "die Welt beliebt, den Künstler auf bestimmte Weise festzunageln. So sucht der Kenner von mir am liebsten nur übelriechende Sujets zu erwerben, als da sind: Menagerien, Affen, Löwen, Wilde usw. Aber ich male doch auch gern blumige Landschaften, Bilder mit Alpenluft und Waldesduft, doch diese alle gelten nicht als echte P.M." (Aus meinem Leben, Die Gartenlaube Nr.26, 1905, S.452)
Heute stellen Meyerheims Bilder vom Innenleben der „Tierbuden“ einmalige Zeugnisse dar, die einen realistischen Eindruck vom Geschehen und dem bescheidenen Interieur hinter den vielversprechenden Fassaden großer Menagerien bis hin zum kleinen Hunde- und Affentheater vermitteln.
Besonders fasziniert mich ein erst kürzlich erworbener Stich, der ein anderes Schaubuden-Genre zum Thema hat. Die „Schaustellung wilder Indianer“ zeigt das Innere einer typischen Bude, in der vermeintlich „ungezügelte Wilde“ wilde, rituelle Tänze aufführen. Auf den einfachen Holzbänken des ersten Platzes sowie auf den Stehplätzen dahinter staunt das einfache, offensichtlich ländliche Volk über diesen Einbruch einer ungezügelten, animalischen Exotik (man beachte die bereitliegenden Ketten) in die begrenzte und wohlgeordnete eigene Lebenswirklichkeit. Auch die aus dem Halbdunkel der schlichten Segeltuchbude schemenhaft auftauchenden wild zusammengewürfelten Ausstellungsstücke aus weit entfernt liegenden Ländern sind Teil dieser so einfachen wie beeindruckenden Inszenierung. Der Herr über diese Enklave einer verstörend sinnlichen, fremdartigen und scheinbar primitiven Welt ist der in die Phantasieuniform des weit gereisten Abenteurers gekleidete Schaubudenbesitzer…
(Informationen zur Schaustellung von Menschen aus weit entfernten Erdteilen im Kapitel „Völkerschau“ unter http://www.schaubuden.de/)
Dienstag, 27. Mai 2008
E.T.A.
Für E.T.A. Hoffmann (1776-1822) übten die Attraktionen des auf den Jahrmärkten offensichtlich eine große Faszination aus. Die Beschreibung der Kunststücke der Schützlinge eines „Flohbändigers“ im „Meister Floh“ (1822) zeigt, dass es „Flohcircusse“, wenn auch nicht unter dieser Bezeichnung, schon Anfang des 19. Jahrhunderts gab.
Interessant sind auch die Aussagen über Wachsfigurenkabinette in „Die Automate“ von 1814. Die Erzählung belegt, dass in Panoptiken schon damals „Mörder“ und „Spitzbuben“ ausgestellt waren und die Etablissements wohl von jeher eine unheimliche Atmosphäre vermittelten.
Ganz besonders war Hoffmann von Automaten eingenommen, weniger allerdings von den „Tändeleien, wie sie wohl öfters auf Messen und Jahrmärkten gezeigt werden“ (Die Automate), als vielmehr von den erstaunlichen Kunstwerken großer Mechaniker.
Das Automatenthema taucht immer wieder auf, u.a. natürlich im Sandmann. In dieser faszinierenden wie beklemmenden Erzählung geht es um die „Liebe“ des Studenten Nathanael zur „Automatin“ Olimpia.
Die künstlichen Menschen bei E.T.A. Hoffmann waren und sind ein beliebtes Thema für literaturwissenschaftliche Abhandlungen, u.a. auch von Autoren mit marxistischen Ansatzpunkten. (exemplarisch Lienhard Wawrzyn: Der Automaten-Mensch. E.T.A. Hoffmanns Erzählung vom Sandmann. Berlin 1985) Zum Teil scheinen mir solcherlei Interpretationen trotz dogmatischer Herangehensweisen nicht ganz abwegig. Der Automatenmensch ist der „bürgerliche“, „entfremdete“, eben „künstliche“ Mensch mit einem eingeschränkten Verständnis von „Wirklichkeit“ bzw. einer beschränkten Sicht auf die Welt:
„Ach diese zauberhaften Entzauberer, diese liebenswerten Entwerter der Liebe, sie sind ja Gespenster, und doch Alltagswesen, langbeinig und mit Wimpernprothesen, und selbstverständlich physisch vollkommen, und selbstverständlich aufgeklärt.- Noch keine Berufsfeministinnen, das macht den Vorzug wie auch den Nachteil ihres Charmes. Sie sind Erzeuger der Sehnsucht nach etwas, das sie ihrem Wesen nach nicht sind, auch darin repräsentieren sie (…) einen Zug nicht nur des Bürgertums. – Idealinkarnationen der praktischen Vernunft, aber denkt man sie zu Ende, heißt ihre Königin Olimpia. – Die Gesellschaft der Programmierten. – Doch nicht die Automatin ist das Schauerliche, sondern dass sich einer bis zum Wahnsinn in sie verliebt.
Freilich: Er braucht dazu eine besondere Brille.“
(Franz Fühmann: Fräulein Veronika Paulmann aus der Pirnaer Vorstadt oder Etwas über das Schauerliche bei E.T.A. Hoffmann. München 1984, S.104)
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Freitag, 23. Mai 2008
Pardauz!
Obwohl sie sehr einfach gestaltet sind, zählen die über 100 Jahre alten Ankündigungszettel reisender Marionettentheater zu den interessantesten Stücken meiner kleinen Sammlung.
Im 19. Jahrhundert boten zahlreiche Marionettenspieler vor allem einem ländlichen Publikum Abwechslung im oftmals eintönigen Alltag. Gespielt wurde vornehmlich in Gasthaussälen.
Star des Ensembles war stets die triebbestimmte, verfressene, teils anarchistische Gestalt des Kaspers, eine durchaus widersprüchliche Figur, die gleichermaßen kindlich-naiv und gerissenen sowie furchtlos und feige sein konnte – eine Identifikationsfigur des Publikums eben.
Ausschnitt eines Zettel von Max Dreyßigs Marionettentheater; Sammlung Nagel |
„Kasper wird als Räuber den geehrten Theaterfreunden einen heiteren und fröhlichen Abend bereiten.“
Selbstverständlich spielte er auch im sehr verbreiteten Ritterschauspiel „Genoveva, die Pfalzgräfin vom Rhein oder Sieben Jahre unschuldig verstoßen in der Wildnis“ eine tragende Rolle:
„Da war unter den Dienern auf der Burg einer im gelben Nankinganzug, der hieß Kasperl. Wenn dieser Bursche nicht lebendig war, so war noch niemals etwas lebendig gewesen; er machte die ungeheuersten Witze, so dass der ganze Saal vor Lachen bebte; (…).“
Sammlung Nagel |
„Ein hochgewölbtes gotisches Zimmer zeigte sich. Vor einem aufgeschlagenen Folianten saß im langen schwarzen Talar der Doktor Faust und klagte bitter, dass ihm all seine Gelehrsamkeit so wenig einbringe; keinen heilen Rock habe er mehr am Leibe und vor Schulden wisse er sich nicht zu lassen; so wolle er denn jetzo mit der Hölle sich verbinden. – ‚Wer ruft nach mir?’ ertönte zu seiner Linken eine furchtbare Stimme von der Wölbung des Gemaches herab. ‚Faust, Faust, folge nicht!’ kam eine andere, feine Stimme von der Rechten. – Aber Faust verschwor sich den höllischen Gewalten. – ‚Weh, weh deiner armen Seele!’ Wie ein seufzender Windeshauch klang es von der Stimme des Engels; von der Linken schallte eine gellende Lache durchs Gemach. – Da klopfte es an die Tür. ‚Verzeihung, Euere Magnifizenz!’ Fausts Famulus Wagner war eingetreten. Er bat, ihm für die grobe Hausarbeit die Annahme eines Gehilfen zu gestatten, damit er sich besser aufs Studieren legen könne. ‚Es hat sich’, sagte er, ‚ein junger Mann bei mir gemeldet, welcher Kasperl heißt und gar fürtreffliche Qualitäten zu besitzen scheint.’ – Faust nickte gnädig mit dem Kopfe und sagte: ‚Sehr wohl, lieber Wagner, diese Bitte sei euch gewährt.’ (…) ‚Pardauz!’ rief es; und da war er. Mit einem Satz kam er auf die Bühne gesprungen, dass ihm das Felleisen auf dem Buckel hüpfte.“
Am Ende des Stückes, bevor Gretel und Kasper den traditionellen Kehraus tanzen, wird Faust unter Feuerregen und Donnergrollen von Teufeln in die Höhle gezehrt. In diesem letzten Aufzug hat Kasper eine neue Rolle:
„Endlich ist die Frist verstrichen. Faust und Kasper sind beide wieder in ihrer Vaterstadt. Kasper ist Nachtwächter geworden; er geht durch die dunklen Straßen und ruft die Stunden ab:
‚Hört ihr Herrn, und lasst euch sagen,
Meine Frau hat mich geschlagen;
Hüt’t euch vor dem Weiberrock!
Zwölf ist der Klock! Zwölf ist der Klock!’
Von fern hört man die Glocke Mitternacht schlagen. Da wankt Faust auf die Bühne; er versucht zu beten, aber nur Heulen und Zähneklappern tönt aus seinem Halse. Von oben ruft eine Donnerstimme:
‚Fauste, Fauste, in aeternum damnatus es!’“
Die verbliebenen reisenden Marionettentheater präsentieren fast ausschließlich nur noch Märchenstücke für Kinder, wobei allerdings die Figur des Kaspers in altbewährter Manier eingebunden wird. Einige Puppenspieler der verbreiteten Sperlich-Sippe zeigen noch solches Puppentheater, zum Teil sehr gut gespielt. Die besten Aufführungen erlebte ich 1990 im Zelt-Marionettentheater von Siegfried Pandel, der im Anschluss an das Hauptstück wie alle besseren Spieler noch Varieté- oder Kunstmarionetten zeigte, die eine besondere Kunstfertigkeit des Puppenspielers verlangen.
Die alten Stücke sind allenfalls noch auf Kulturveranstaltungen und Festivals zu sehen. Besondere Verdienste hat sich hier das Traditionelle Marionettentheater Dombrowsky erworben (http://www.dombrowsky-marionetten.de/). Nachfahren der alten Marionettenspielerfamilie Bille zeigen zumindest noch den Faust (http://www.marionettentheater-bille.de/).
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Donnerstag, 22. Mai 2008
Jahrmarktstheater Comagnia Buffo
In diesem Jahr bestreitet der ungemein wandlungsfähige und ausdruckstarke Ausnahme-Komödiant Willi Lieverscheidt leider nur ein Solo-Programm mit Stücken von Dario Fo.
Das ist natürlich sehenswert, aber ein theatralisches Ereignis wie die vorangegangenen Zelt-Produktionen der Compagnia Buffo ist das nicht mehr. Auf der Webseite http://www.compagnia-buffo.de/ werden noch einige der vergangenen Programme vorgestellt (www.compagnia-buffo.de/Programm.htm), da kann man ein wenig wehmütig werden:
Hoffentlich bleibt die Zelttournee mit einer Solo-Produktion nur eine Episode! Willi Lieverscheidt scheint jedenfalls wenig optimistisch zu sein. "An ein großes Revival des Zelttheaters glaubt er nicht. 'Die Zeiten haben sich geändert und mit ihnen der Idealismus.'" (Westfälische Nachrichten vom 16.5.2008)
Freitag, 16. Mai 2008
Sammlerfreuden
Das Ausmaß dieser Freude können nur Sammler verstehen: Nach jahrelangem Suchen konnte ich endlich einen Führer eines der letzten reisenden Panoptiken aus den 1950er Jahren erstehen. Obwohl ich zahlreiche "Cataloge" von Wachsfigurenkabinetten weit älteren Datums besitze, stellt dieses Exemplar etwas Besonderes für mich dar.
Mittwoch, 14. Mai 2008
Ich sehe 'was, ...
Detail des Titels einer Ausgabe der "Lustigen Blätter" von 1909 |
Schön, dass (wenigstens) sie noch manchmal auf Jahrmärkten anzutreffen sind, die Wahrsagerinnen und Wahrsager.
Die Wahrsagerei – meist handelt es sich um Handlinienlesen - bedarf dabei einer gewissen Befähigung: Naiven bzw. leichtgläubigen Gemütern muss der Eindruck erweckt werden, dass tatsächlich genau ihre Lebensumstände, Ängste und Wünsche durchschaut werden und ein Blick in die Zukunft möglich ist – den anderen muss zumindest eine gute Show geboten werden.
Eines der Bilder zeigt den Wagen der Wahrsagerin „Medusa“. Sie wurde als Pia Maria Traber geboren und heißt mit Nachnamen Lagrin-Lemoine – drei alte Komödiantennamen. Viele Lemoines sind heute als Schausteller auf Jahrmärkten tätig, u.a. mit einer der letzten Boxbuden. Andere betreiben eine Auto-Stunt-Show. Auch der bekannte Comedy-Jongleur Patrick Lemoine entstammt dieser Familie ehemaliger Hochseilartisten.
Lagrin wiederum sind Komödianten, die verwandtschaftliche Beziehungen zu „Zigeunern“ haben. Letzteren wurden „wahrsagerische Fähigkeiten“ schon immer nachgesagt. Weitergegeben wurden und werden allerdings nicht solcherart Begabungen, sondern die Kunst, diese vorzutäuschen…
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Auch die Wahrsagerin "Odessa" (Monika Traber) entstammt einem
alten Komödiantengeschlecht.
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Montag, 5. Mai 2008
Komödianten
Souvenirkarte 1936, Sammlung Nagel |
Sie sind ein eigenwilliges Völkchen und ein sehr lebendiger, liebenswerter Anachronismus - die Komödianten. Irgendwie will dieses „Fahrende Volk“ nicht so recht in unsere moderne Welt passen – nicht sesshaft, ganz eigenen Regeln und Traditionen verpflichtet und einem ausgeprägten Familien- und Gemeinschaftssinn verbunden.
Viele „Eigenarten“ „der“ Komödianten können Leuten von „Privat“ schnell aufstoßen – besonders wenn sie allzu naive und romantisierende Vorstellungen vom Leben der „Gaukler“ haben. Man muss sie zu nehmen wissen und immer eine gewisse Distanz bewahren – die die Leute von „die Reise“ auch zu uns „Privaten“ oder „Bauern“ gegenüber oft einhalten.
Andererseits ist gerade das Fortbestehen dieser Eigentümlichkeiten einer der vielen faszinierenden Aspekte der Reisenden – die unserer modernen bürgerlichen Gesellschaft so fremd, fast unwirklich scheinen.
Illustration in einer Zeitschrift des Jahres 1897, Sammlung Nagel |
Da Komödianten i.d.R. Komödianten heiraten, bestehen weit verzweigte verwandtschaftliche Beziehungen zwischen den einzelnen Familien.
Früher traten viele Komödianten als Artisten auf Marktplätzen vor allem zur Jahrmarktzeit auf, teils „publik“ unter freiem Himmel, teils in Schaubuden.
Puppentheater von Heiko Maatz 2007, Nagel |
Sammlung Nagel |
Die eigentliche Domäne der Komödianten ist jedoch der Familiencircus, es gibt kaum einen der Komödiantennamen der unter den vielen hundert Circussen in Deutschland nicht vertreten ist. Einige Namen tauchen gleich dutzendfach auf, besonders viele Circusse werden von Mitgliedern der Familien Frank, Spindler und Sperlich betrieben.
Heidi Spindler, Circus Aramannt 1993 |
Samstag, 19. April 2008
Schaubusenbesitzerinnen und Gorillagirls
Der James Bond Film „Diamantenfieber“ von 1965 mit Sean Connery gewährt interessante Einblicke zum Thema „Schaubuden“.
Gemeint ist hier nicht die überaus reizvolle Plenty O’Toole (Lana Wood), die von einer Konkurrentin sehr zutreffend als „Schaubusenbesitzerin“ tituliert wird, sondern eine Szene, die in einer „Zambora-Bude“ spielt.
Die „Zambora Girl to Gorilla-Show“ ist ein recht plumper, aber wirkungsvoller Klassiker unter den Verwandlungsshows auf Jahrmärkten: Eine junge Frau verwandelt sich vor den Augen des Publikums in einen Gorilla, dessen Gefährlichkeit vom Rekommandeur zuvor in dramatischer Weise herausgestellt wird. Natürlich gelingt es der Bestie nach der Verwandlung die „unter Strom“ stehenden Eisenstäbe niederzureißen… Im Film nutzt eine Verdächtige den hierbei stets entstehenden Tumult, um unterzutauchen.
In meiner frühen Jugend sah ich noch eine solche Zambora-Show auf der Kirmes in Meschede. Ich kann mich erinnern, dass ich ein wenig enttäuscht wegen der nicht zutreffenden Behauptung war, dass sich ein schönes Mädchen in einen hässlichen Gorilla verwandeln würde. Tatsächlich war es eher umgekehrt … :)
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Die Bezeichnung "Monkey-Woman", "Gorilla-Girl" oder hierzulande auch "Affenweib" umfasste nicht nur diese ehedem recht verbreitete Illusionsshow, auch Frauen mit starker Körperbehaarung wurden so tituliert.
Tatsächlich war die Behaarung vieler "Haarmenschen" allerdings nicht ganz so ausgeprägt wie es die Werbung glauben machen wollte. Im Falle solcher sich beim Betreten der Bude als weniger spektakulär herausstellender Attraktionen wurden diese oftmals durch zusätzliche Darbietungen oder Exponate aufgewertet, so wie zum Beispiel durch die Schaustellung einer "Riesenschlange".
Souvenirkarte, Sammlung Nagel |
Mittwoch, 16. April 2008
Fellinis Casanova
Fellinis Casanova ist einer der Filme des großen Regisseurs, die bei Kritikern und Kinobesuchern keinen ungeteilten Beifall fanden.
Man merkt dem Film stellenweise deutlich an, dass er keine Herzensangelegenheit Fellinis war - und dass er den berühmten Schürzenjäger eingestandenermaßen nicht mochte. Die daraus resultierende faszinierende Darstellung oder Demaskierung Casanovas als bemitleidenswertes Opfer seines Selbst-, Wunsch- und Fremdbildes gleichermaßen macht andererseits die Stärke dieses Filmes in vielen beeindruckenden Szenen aus. In Anbetracht der Biographie des Regisseurs darf vermutet werden, dass sich hinter dieser Darstellung auch ein Stück kritischer Selbstbeschau verbirgt…
Fellinis Casanova am Lebensabend
(c) Stefan Nagel
Fellini wäre nicht Fellini, wenn nicht auch in diesem Film seine Lieblingsthemen auftauchen würde: Eine wichtige Frauenfigur im Film ist die Riesin Angelina, Attraktion auf einem der Londoner Frostjahrmärkte.
Gespielt wurde Angelina von einer wirklichen Riesin: Sandy Allen ist mit 2,32m die größte lebende Frau.
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Dienstag, 15. April 2008
Meerweib
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Donnerstag, 27. März 2008
Reliquien
Gebrauchsgegenstände aus dem Besitz berühmter Menschen waren besonders kuriose Ausstellungsobjekte in den Panoptiken früherer Zeiten. So wurden oftmals den Wachsnachbildungen berüchtigter Verbrecher die vermeintlichen „Original-Tatwerkzeuge“ beigegeben. Am tollsten trieb es der Panoptikumsbesitzer Präuscher in seinem Etablissement im Wiener Prater, der es wie kein anderer verstand, allerlei Alltagsgegenständen unter Hinzufügung „amtlicher Echtheitszertifikate“ zu ganz neuer Bedeutung zu verhelfen. So gab es zum Beispiel die Pantoffeln und den Kochtiegel einer Giftmischerin oder die Manschettenknöpfe eines Sittlichkeitsverbrechers zu bestaunen.
Die Gebrüder Castan standen Präuscher kaum nach, sie zeigten in ihrem Berliner Panoptikum u.a. ein Glas, aus welchem der Kotzebue-Mörder Sand „den letzten Trunk vor seiner Hinrichting that“. (Mehr dazu unter im Kapitel „Panoptikum“ unter http://www.schaubuden.de/.)
Karl Valentin persiflierte diesen Reliquien-Kult in seinem Panoptikum, indem er z.B. den Nagel präsentierte, an den er seinen Beruf hängte, um Volkssänger zu werden. Andere Exponate, die u.a. ebenfalls heute noch im wunderbaren "Valentin-Musäum" in München (www.valentin-musaeum.de/) bewundert werden können, sind ein Telefonapparat, „durch welchen Buchbinder Wanninger mit der Firma Meisl u. Compagnie sprach“ oder der „Der Stein, auf dem Mariechen saß“.
„Reliquien“ gibt es aber auch noch in Museen zu bestaunen. So präsentiert das Hamburger Stadtmuseum den abgebildeten Schlüssel hinter Glas. Es handelt sich um den Schlüssel zum Nebeneingang des Hamburger Star-Clubs, in dem die Beatles ihren Durchbruch schafften – der „Schlüssel zum Erfolg“ gewissermaßen …
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Samstag, 22. März 2008
La Strada
La Strada - Szenenbild in "Das neue Filmprogramm", Mitte 1950er Jahre |
Eine sehr lebendige und vielfältige Straßenkünstlerszene gab es in den 70er und 80er Jahren in Paris. Einer der Künstler war der „Automatenmensch“ „Gilbert“, der heute vor allem auf (nostalgischen) Veranstaltungen in Deutschland auftritt. (www.saltimbanque.de) Gilbert weiß vieles von dieser faszinierenden Gesellschaft aus Musikern, Kettensprengern, Equlilibristen, Feuerschluckern, Jongleuren, Fakiren, Automatenmenschen, Taschenspielern und Kleintierdresseuren zu berichten – aber auch von den großen Behinderungen durch die Obrigkeit.
Taschenspieler in Bremen, Oktober 2008 |
Montag, 17. März 2008
Lyrische Fleischbeschau
Das Interesse an den zahlreichen "Riesendamen" in Jahrmarktsschaubuden der Jahrzehnte um die vorletzte Jahrhundertwende dürfte oftmals erotischer Natur gewesen sein. Folgerichtig bestand das Publikum vorwiegend aus Männern, und nicht selten werden erotische Phantasien den Anstoß zur "Fleischbeschau" in den Buden gegeben haben.
"Und ich bin die schöne Wally,
zu Zürich in der Schweiz geboren.
Ick wieje 867 Pfund.
Soeben wird ein Kavalier
auf meinen Busen steigen.
Aba nur anständig,
meine Herren!"
(Text und Zeichnung von Heinrich Zille) (1)
Joachim Ringelnatz setzte den Riesendamen ein literarisches Denkmal:
Die Riesendame der Oktoberwiese
Die Zeltwand spaltete sich weit,
Und eine ungeheure Glocke wuchtete Herein.
"Emmy, das größte Wunder unsrer Zeit!"
Dort, wo der Hängerock am Halse buchtete,
Dort bot sich triefenden Quartanerlüsten
Die Lavamasse von alpinen Brüsten,
Die majestätisch auseinanderfloß.
"Emmy, der weibliche Koloß."
Hilflose Vorderschinken hingen
Herunter, die in Würstchen übergingen.
Und als sie langsam wendete: - Oho! -
Da zeigte sich der Vollbegriff Popo
In schweren erzgegoßnen Wolkenmassen.
"Nicht anfassen!"
Und flüchtig unter hochgerafften Segeln
Sah man der Oberschenkel Säulenpracht.
Da war es aus. Da wurde gell gelacht.
Ich wußte jeden Witz zu überflegeln,
Und jeder Beifall stärkte meinen Schwung.
Die Dicke schwieg. Ich gab die Vorstellung.
Besonders lachten selbst recht runde Leute.
Ich wartete, bis sich das Volk zerstreute.
Nacht war es worden. Emmy ließ sich dort,
Wo sie gestanden, dumpf zum Nachtmahl nieder.
Sie schlang mit Gier, doch regte kaum die Glieder.
"Sag, Emmy, würdest du ein gutes Wort,
Das keinen Witz und keine Neugier hat,
Von Einem, der dich tief betrauert, hören?"
Sie sah nicht auf. Sie nickte kurz und matt:
"Nur zu ! Beim Essen kann mich gar nichts stören."
"Emmy! Du armes Wunderwerk der Zeit!
Du trittst dich selbst mit ordinären Reden,
Mit eingelerntem hohlen Vortrag breit.
Du läßt die schlimme Waffe deines Fettes
Von jedem Buben, jeder Dirne kneten.
Man kann den Scherz vom Umfang deines Bettes,
Der Badewanne bis zum Ekel spinnen.
Und so tat ich. Und konnte nicht von hinnen.
Ich dachte mich beschämt in dich hinein.
Es müßte doch in dir, in deinem Leben
Sich irgendwo das Schmerzgefühl ergeben:
Ein Dasein lang nicht Mensch noch Tier zu sein."
Hier hielt ich inne, dachte zaghaft nach.
Bis ein Geräusch am Eingang unterbrach.
Es nahte sich mit wohlgebornen Schritten
Der Elefant vom Nachbarzelt
Und sagte: "Emmy, schwerste Frau der Welt,
Darf ich um einen kleinen Beischlaf bitten?"
Diskret entweichend konnte ich noch hören:
"Nur zu! Beim Essen kann mich gar nichts stören." (2)
André Heller schrieb ein wortgewaltiges Lied über eine Obsession -
Miruna, die Riesin aus Göteborg
(...)
Die war's,
Die Vater am meisten begehrte.
In seinem Nachlass fand ich Schatullen
Voll der Affichen und Photographien.
Nächtebücher tragischer Jauchzer,
Die Iventur seiner Träume.
Zöpfe, wie schmale Weidenstämme
Hände, wie große Tschinellen
Brüste, wie seltene Zwillingsschwämme
Achselhöhlen, wie Antoniuskapellen.
Das hat er in seiner verkrochenen Schrift
Unter "ICH WÜNSCHE", notiert
Und sich, so wie ich ihn kannte,
Dafür tagtäglich geniert.
Vater, ich bete,
Dass sich Dein Wünschen
In Deiner nächsten Verwandlung erfüllt,
Auf dass dich die Königin der Riesen
An ihren weißen Schwämmen stillt.
Wenn ich die Augen schließe,
Seh ich's schon ganz genau:
Du mein missratener Vater
Mit Deiner gelungenen Frau.
Ich nähe euch Hochzeitskleider
Um die frierenden Seelen herum
In der erlösten Landschaft
Riecht der Südwind nach
Gummi Arabicum. (3)
(1) Gerhard Flügge: Das dicke Zillebuch. Berlin 1971
(2) Joachim Ringelnatz - Das Gesamtwerk in sieben Bänden. Berlin 1983
(3) André Heller: Verwunschen (LP). Mandragora 1980
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