Samstag, 17. November 2018

Lebende Bilder


Zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren "Lebende Bilder" bzw. "Lebende
Skulpturen" beliebte "pikante" Motive auf Bildpostkarten.

Die Nachstellung von Bildwerken der Historien- bzw. Genremalerei oder antiker Skulpturen(gruppen) war besonders im ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert eine beliebtes Freizeitvergnügen adliger Kreise - ganz so, wie es Goethe in seinen "Wahlverwandtschaften" beschreibt.
Wie andere Unterhaltungsformen des Adels oder des Bürgertums machten sich Schausteller auch dieses Sujet zu eigen und breiten Volksschichten verfügbar. Dabei verwandelten sich die aufwändig ausgearbeiteten, feinen "Tableaus vivants" zu schwülstigen, auf eine vordergründige Schaulust zielende Szenerien mit zunehmend erotischer Ausrichtung: Unter dem Vorwand einer möglichst realistischen Nachahmung entsprechend ausgewählter Kunstwerke traten die Darsteller häufig in spärlicher Bekleidung oder eng anliegenden Ganzkörperkostümen auf. Der Besucher einschlägiger Jahrmarktsbuden wusste in der Regel, was ihn erwartete, wenn "Lebende Bilder" angekündigt wurden.

Mitte des 19. Jahrhunderts verbargen sich hinter Ankündigungen "Lebender Bilder" in den Schaubuden zumeist 
noch keine "pikanten" Szenerien. Francois Rappo war sogar für besonders geschmackvolle Arrangements in 
seinem Etablissement bekannt.  (Anzeige in einer Ausgabe der des "Leipziger Tageblatts aus dem Jahr 1863)

Panoramen, Automatentheater und andere Schaustellungen bewarben hingegen animierte Gemälde oder Laterna Magika-Darbietungen als "Lebende Bilder" - ebenso wie in ihrer Nachfolge stehende Filmvorführungen, die auf dem Jahrmarkt zuletzt in den für einige Jahre sehr erfolgreichen "Kinematografen-Theatern" gezeigt wurden. Hier etablierte sich die Verwendung des Begriffs "Lebende Bilder" für Filme.
Seine unterschiedlichen Verwendungen im Bereich der Schaustellerei oder auch wortreiche Beschreibungen von Theatrum Mundi-Szenerien auf zeitgenössischen Ankündigungszetteln führten dabei immer wieder zu Missverständnissen. So vermuteten Autoren, die sich mit den Anfängen der Filmgeschiche befassten, hinter Tableaux bzw. bestimmten Programmpunkten in Mechanischen Theatern bisweilen fälschlicherweise frühe Filmvorführungen.

Dienstag, 12. Juni 2018

Circuskino


Titelillustration auf einem französischen Programm 1928, Sammlung Nagel

Um die Jahrhundertwende kamen die meisten Menschen mit dem neuen Medium Film, das zudem oftmals Teil von Varietéprogrammen war, zunächst auf dem Jahrmarkt in Berührung: Die Schausteller erkannten rasch die Anziehungskraft der "Lebenden Bilder" auf die breite Masse und in der ersten Dekade des 20. Jahrunderts zählten Kinematographen-Theater zu den gewinnträchtigsten Attraktionen auf den Festplätzen. (vgl. www.schaubuden.de , Kapitel 3)

Kinoschaubude 1907, Sammlung Nagel

Doch nicht nur in Schaubuden konnte sich das Volk Filme ansehen. Mitunter dienten auch Circuszelte und -gebäude als Vorführstätten.

"Cirque-Cinema-Varieté" um 1910, Sammlung Nagel

Ferdinand Althoff aus der berühmten Circusfamilie betrieb Anfang des 20. Jh. zunächst eine Kinoschaubude, die er 1905 infolge der gestiegenen  Konkurrenz solcher Geschäfte auf den Jahrmärkten durch einen "Kinematograpen-Circus" ersetzte, der auch unabhängig von Volksfesten spielte und nach deren Verbreitung in Orten ohne feste Kinos gastierte.

In den ersten Jahren präsentierte Ferdinand Althoff zwischen
den Filmen noch artistische Einlagen auf einer Bühne vor
der Leinwand. Souvenirkarte, Sammlung Nagel

Weit häufiger als in Circuszelten waren Filmvorführungen in festen Circusbauten.
Die große Zeit glanzvoller Circusvorstellungen in festen Gebäuden hatte um die Jahrhundertwende in vielerlei Hinsicht ihren Zenit überschritten, andere Formen der Unterhaltung spielten eine zunehmend große Rolle und traten in Konkurrenz zum klassischen Circus. Immer mehr Circusse setzten auf das Chapiteau und nutzten die Gebäude vornehmlich im Winter. Diese wurden vermehrt für andere Unterhaltungsangebote in Form von Sporveranstaltungen, Varieté-, Revue- und  Operettenvorstellungen - oder eben Filmvorführungen genutzt.

Der Circus in Rouen um 1912 mit abgedunkeltem Oberlicht als "Mondial Cinema" (Slg. Nagel)

Mit der Zeit traten diese alternativen Verwendungen völlig in den Vordergund und viele der zuweilen schon multifunktional konzpierten Circusse oder "Hippodrome" verwandelten sich vollends in reine Theater- oder Kinogebäude: Nicht wenige der ersten großen Kinopaläste waren ehemalige Circusse.

Wenngleich einige der auf den Jahrmärkten gezeigten Filmprogramme auch Aufnahmen artistischer Darbietungen umfassten, akrobatische Einlagen die ein oder andere Spielszene bereicherten und bisweilen artistische Nummern den Wechsel der Filmrollen überbrückten, so dürfen Einflüsse von Circus bzw. Artistik auf die Entstehungs- bzw. Entwicklungsgeschichte des Kinos jedoch nicht überbewertet werden. Birgit Joest konstruiert in ihrer unter dem Titel "Von fliegenden Menschen, ratlosen Artisten und Unbesiegbaren" veröffentlichten Dissertation (Marburg 2005) einen "Roten Faden" maßgeblicher Einflüsse der performativen Kunst, der sicherlich vorhanden, wenngleich sehr dünn und keineswegs "maßgeblich" war. Bezeichnenderweise verwischt sie u.a. durch die undifferenzierte Verwendung des Begriffs "Zirkuskinematograph" den Unterschied zwischen den seltenen Zirkus(zelt)kinos und den sehr viel häufigeren Kinematographen auf den Jahrmärkten, die Schaubuden waren und in deren Programmen eben doch narrative Elemente in Form von (bisweilen "pikanten") trivialdramatischen oder humoristischen Spielszenen überwogen. (vgl. www.schaubuden.de, S.55ff)


Dienstag, 1. Mai 2018

Haus auf Rädern



Der "klassische" Wohnwagen der Schausteller und Circusleute - im Idealbild mit Oberlicht und kleiner Veranda - geht zurück auf die Maringotte, ein von Pferden gezogener, ursprünglich einachsiger  Wohnwagen der Reisenden, eine Weiterentwicklung eines französischen Kutschentyps gleichen Namens. Die zumeist grün gestrichene Maringotte löste im frühen 19. Jahrhundert die bis dahin üblichen Planwagen ab.



In den Schaustellerwohnwagen ging es im 19. Jahrhundert zumeist wenig komfortabel und vor allem überaus beengt zu. Da aus Kostengründen bzw. aus Mangel an Zugtieren  i.d. R. wenig Wagenmaterial eingesetzt wurde, mussten zudem viele Mitglieder einer Gesellschaft zu Fuß reisen. (vgl. Abbildungen im vorletzten Blog: "... diese ein wenig Flüchtigern noch als wir selbst")
Auch am Standort beherbergten die Wagen oftmals nur die Betreiber der Geschäfte, sogar ihre Kinder mussten sich häufig wie die Gehilfen und Musiker an anderer Stelle ihre Schlafplätze suchen.
Engagierte Artisten größerer Geschäften logierten bis ins 20. Jahrhundert hinein in Gasthäusern oder bei Privatpersonen, die Zimmer vermieteten. Die Vermittlung solcher Unterkünfte war eine der Aufgaben des "Vorreisenden".

Seit dem Ende des 19. Jh schafften sich wohlhabende Direktionen luxeriöse, repräsentative Wohnwagen an. Sie dienten nicht selten als Statusobjekte und die Inneneinrichtung ahmte zumeist (groß-)bürgerliche Wohnungen nach.


Der Manegeriebesitzer Bidel in seinem fahrenden Salon.
Fotografie in einer französischen Illustrierten aus dem Jahr 1897. 

Zu Beginn des neuen Jahrhunderts kamen darüber hinaus zunehmend öfter Lokomobile und später Straßenschlepper zum Einsatz, die die Wagen entweder direkt zum nächsten Gastspielort oder zur Bahnverladung zogen.


Abbildung aus einer französischen Illustrierten des Jahres 1919


Mitunter musste auch ein Pkw als Zugmaschine genügen. 

Über viele Jahrzehnte zogen in Deutschland Straßenschlepper von Hanomag, Deutz oder Lanz Schausteller- und Circuswagen von Firmen wie Stork, Mack oder Zierer. Einige der Tradition verpflichtete Schausteller pflegen solche alten Schätzchen und führen sie bei passender Gelegenheit vor:



Abbildungen: Sammlung Nagel