Dienstag, 12. Juni 2018

Circuskino


Titelillustration auf einem französischen Programm 1928, Sammlung Nagel

Um die Jahrhundertwende kamen die meisten Menschen mit dem neuen Medium Film, das zudem oftmals Teil von Varietéprogrammen war, zunächst auf dem Jahrmarkt in Berührung: Die Schausteller erkannten rasch die Anziehungskraft der "Lebenden Bilder" auf die breite Masse und in der ersten Dekade des 20. Jahrunderts zählten Kinematographen-Theater zu den gewinnträchtigsten Attraktionen auf den Festplätzen. (vgl. www.schaubuden.de , Kapitel 3)

Kinoschaubude 1907, Sammlung Nagel

Doch nicht nur in Schaubuden konnte sich das Volk Filme ansehen. Mitunter dienten auch Circuszelte und -gebäude als Vorführstätten.

"Cirque-Cinema-Varieté" um 1910, Sammlung Nagel

Ferdinand Althoff aus der berühmten Circusfamilie betrieb Anfang des 20. Jh. zunächst eine Kinoschaubude, die er 1905 infolge der gestiegenen  Konkurrenz solcher Geschäfte auf den Jahrmärkten durch einen "Kinematograpen-Circus" ersetzte, der auch unabhängig von Volksfesten spielte und nach deren Verbreitung in Orten ohne feste Kinos gastierte.

In den ersten Jahren präsentierte Ferdinand Althoff zwischen
den Filmen noch artistische Einlagen auf einer Bühne vor
der Leinwand. Souvenirkarte, Sammlung Nagel

Weit häufiger als in Circuszelten waren Filmvorführungen in festen Circusbauten.
Die große Zeit glanzvoller Circusvorstellungen in festen Gebäuden hatte um die Jahrhundertwende in vielerlei Hinsicht ihren Zenit überschritten, andere Formen der Unterhaltung spielten eine zunehmend große Rolle und traten in Konkurrenz zum klassischen Circus. Immer mehr Circusse setzten auf das Chapiteau und nutzten die Gebäude vornehmlich im Winter. Diese wurden vermehrt für andere Unterhaltungsangebote in Form von Sporveranstaltungen, Varieté-, Revue- und  Operettenvorstellungen - oder eben Filmvorführungen genutzt.

Der Circus in Rouen um 1912 mit abgedunkeltem Oberlicht als "Mondial Cinema" (Slg. Nagel)

Mit der Zeit traten diese alternativen Verwendungen völlig in den Vordergund und viele der zuweilen schon multifunktional konzpierten Circusse oder "Hippodrome" verwandelten sich vollends in reine Theater- oder Kinogebäude: Nicht wenige der ersten großen Kinopaläste waren ehemalige Circusse.

Wenngleich einige der auf den Jahrmärkten gezeigten Filmprogramme auch Aufnahmen artistischer Darbietungen umfassten, akrobatische Einlagen die ein oder andere Spielszene bereicherten und bisweilen artistische Nummern den Wechsel der Filmrollen überbrückten, so dürfen Einflüsse von Circus bzw. Artistik auf die Entstehungs- bzw. Entwicklungsgeschichte des Kinos jedoch nicht überbewertet werden. Birgit Joest konstruiert in ihrer unter dem Titel "Von fliegenden Menschen, ratlosen Artisten und Unbesiegbaren" veröffentlichten Dissertation (Marburg 2005) einen "Roten Faden" maßgeblicher Einflüsse der performativen Kunst, der sicherlich vorhanden, wenngleich sehr dünn und keineswegs "maßgeblich" war. Bezeichnenderweise verwischt sie u.a. durch die undifferenzierte Verwendung des Begriffs "Zirkuskinematograph" den Unterschied zwischen den seltenen Zirkus(zelt)kinos und den sehr viel häufigeren Kinematographen auf den Jahrmärkten, die Schaubuden waren und in deren Programmen eben doch narrative Elemente in Form von (bisweilen "pikanten") trivialdramatischen oder humoristischen Spielszenen überwogen. (vgl. www.schaubuden.de, S.55ff)


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