Samstag, 29. August 2009

Allerlei Mittel für glänzendes Falschgeld, geschmeidige Fürze und den verderbten Magen


Es ist gut möglich, dass auch dieser Zauberer am Schluss der Vorstellung den Dorfbewohnern
 ein Mittel gegen diverse Unpässlichkeiten offerierte. (Holzstich, Sammlung Nagel)

Der zu Lebzeiten sehr berühmte Zauberer Alexander Heimbürger aus dem vorherigen Eintrag verkaufte nach der Rückkehr von seiner viele Jahre währenden Amerika-Tournee in seiner Heimatstadt Münster ein Wund- und Abführmittel, das noch Jahrzehnte nach seinem Tod vermarktet wurde.
Der Verkauf von Heilmitteln oder sogar die Ausübung heilpraktischer Behandlungen durch Zauberer bzw. Taschenspieler bildete zu dieser Zeit zwar nur noch eine Ausnahme, kam bis ins 19. Jahrhundert hinein jedoch nicht selten vor. Friedrich Josef Basch, der u.a. "das Aufziehen eines Kindes bei einem Haare" vorführte, bot seinem Publikum sinnigerweise ein Haarkräftigungsmittel an. Auch andere fahrende Artisten waren hier tätig. So wird von den Vorfahren der auch heute noch als Seilläufer bekannten Traber-Sippe Folgendes berichtet: „Ein Louis Traber, (…), weilte 1808 mit einer Truppe von 12 Personen, 2 Wagen und 5 Pferden in Kettwig an der Mosel. Nachdem sie mit Seiltanzen das Volk amüsiert hatten, priesen sie die Wirkung ihrer Heilmittel und ihre medizinischen Kenntnisse. Sie besäßen das Geheimnis, leicht alle Krankheiten zu heilen. Ihre Medizin verkauften sie zu enormen Preisen und suchten dann das Weite. Wenig später wurde aus Rhens berichtet, ihre Frauen hausierten in Dörfern mit einem Mittel, das nicht nur geeignet sei, gewisse Krankheiten zu heilen, sondern auch Falschgeld einen neuen Schimmer gebe. (…) Alois Taber (…) heiratete die ‚umherziehende Marionettenspielerin’ Franziska Witthauer, deren Eltern ein ‚Chirurgus’ und eine Marionettenspielerin waren.“ (1)
Das Beispiel steht in einer langen Tradition der Verbindung von Gaukelei bzw. Schaustellerei und Quacksalberei, die im 17. und 18. Jahrhundert ihren Höhepunkt hatte und bis ins Mittelalter zurückreichte.
Schon der mittelalterliche Spielmann war neben seinen hauptsächlichen Betätigungsfeldern Artistik und Musikantentum oft auch ein Heilkünstler bzw. „Heilzauberer“. Auf die sehr wahrscheinlichen Verbindungen zum Schamanismus weisen u.a. die bis heute erhaltenen Spuren des Musikantenmagiers und Heilkünstlers in Südosteuropa hin:
„Durch die Szekler in Siebenbürgen sind in Ungarn sehr alte Bräuche einer religiösen Spielmannschaft erhalten geblieben. Die Spielleute waren Schamanen, die der Heilkunst, der Zauberei und der Musik zugleich kundig waren. Die kultische Handlung wurde durch Tanz, Gesang und turnerische Kunststücke vorbereitet, zu denen die Trommel geschlagen und ein Zauberspruch rezitiert wurde, (…)“ (2)
Auch die Gaukler der Neuzeit traten häufig als Heilkundige in Erscheinung. (3) „Der eine hat Wurmsamen/ der ander Bilsensamen für das Zahnwehe/ der ander Pulffer/ welches die Harnwinde vertreibet/ oder einen Furtz geschmeidig macht/ dass man ihn nicht höret/ damit mannichem wol bei guter Gesellschaft gedienet wird…“ (4)
Besondere Beachtung verdient Manfredi von Malta, der als Hochseilläufer und Akrobat, der einen Stein von angeblich 700 Pfund mit den Locken seiner Haare hob, auftrat. Vor allem aber „trank er große Mengen Wasser und spie sie in wechselnden Fontänen aus. Er scheint sogar die Flüssigkeiten abgewechselt zu haben, die aus seinem Munde kamen: einmal war es Wein, dann Bier, Öl, Milch und verschiedene Duftwässer.“ (5) Seinem Publikum konnte er hierbei gleich die Wirkung seines „vortrefflichen Balsams für den verderbten Magen“ demonstrieren, das auf einem erhaltenen Ankündigungszettel aus dem 17. Jahrhundert neben seinen artistischen Künsten angepriesen wird (6).
Neben solchen Gauklern, die „nebenbei“ Heilmittel verkauften oder kleinere Behandlungen durchführten, gab es reisende Quacksalber, deren hauptsächliche Profession die Heilkunst war. Die lautstarken Anpreisungen ihrer Mittel und Dienstleistungen reichten bei zunehmendem Konkurrenzdruck auf den Messen und Märkten bald nicht mehr aus, um die Aufmerksamkeit des Publikums zu gewinnen. Viele engagierten daher Akrobaten und Possenreißer und ließen Tiere sehen. (7)
Welche Ausmaße der Pomp fahrender Ärzte erreichen konnte, zeigt eine Memminger Chronik aus dem Jahre 1724: „Am 2. Juli kam ein berühmter Arzt an, namens Joh. Ehr. Hüber, mit fünf Kutschen, darunter zwei sehr prächtig, hatte bei sich 50 Personen, darunter Frauen und Kinder, eine Zwergin, zwei Heiducken, zwei Trompeter und verschiedene Musikanten, (…), auch 18 Pferde und zwei Kamele. Er hatte sein Theatrum auf dem Ratzengraben, verkaufte seine Ware, spielte vor und nach Komödien, (…), hatte höfliche Leute und proper in Kleidern.“ (8) Bei einem späteren Gastspiel war seine Truppe sogar um 30 Musikanten, einen „Mohr“, einen Seiltänzer, sechs „Laquaien“ und „verschiedene Frauenzimmer und Personen“ verstärkt. (9) Auch der berühmte Doktor Eisenbarth verfügte über eine Artistentruppe von 120 Mitgliedern, „die Faxen machte, während er öffentlich Klistiere verpasste“. (10)
Während für das Mittelalter die Bedeutung fahrender Heilkünstler und heilkundiger Spielleute durchaus hoch einzuschätzen ist, verbreiteten die Mittel der Wunderheiler und Scharlatane der Neuzeit oftmals wohl mehr Schaden als Nutzen. Im besten Falle dürfte ihr „Elefanten- und Elchschmalz“ oder ihr „berühmter Planetenstein“ ohne jede Wirkung geblieben sein. Dies war jedoch nicht immer der Fall: „’Also haben’, sagt Dryander in der Vorrede zu seinem Arzneibuch 1542, ‚solche Landstreicher und Leutebescheißer zu allen Gebrechen eine Arznei, einen Trank, eine Salbe, ein Pflaster, oder etwas so Ungereimtes, dass mancher sich das Leben darob verzettet.“ (11)
Zunehmende Kritik fand außerdem das artistische Beiprogramm der Quacksalber. Schon im 15. und 16. Jahrhundert „wimmeln“ die Nürnberger Ratsprotokolle von Erlassen, „in denen ’Landfahrern’ oder ‚Himmelreichern’ verboten wird, ihr `Petroleom’, `Quirinusöl’, `Rosmarinbalsam’, `Skorpionöl’ oder `Elefantenschmalz’ usw. in Nürnberg feil zu halten.“ (12) In Regensburg durften sie zwar zu Jahrmarktszeit bzw. Kirchweih auftreten, sie mussten ihre Arzneien aber vorher durch niedergelassene Ärzte prüfen lassen. (13) Ähnlich verfuhr man in Zürich, wo Ärzte und Chirurgen eine Untersuchungsbehörde“, die sogenannte „Geschau“, bildeten. Umherziehende Ärzte durften dabei in den meisten Städten auch nur bestimmte Krankheiten behandeln, damit sie den niedergelassenen Ärzten möglichst wenig Konkurrenz machten. Außerdem verbot man immer wieder die aus Reklamegründen unentbehrlichen artistischen Darbietungen. (14) Auch in Hamburg untersagte man 1686 „den Zahnbrechern, Marktschreiern und Quacksalbern, sich auf ihren Theatern von Gauklern und Narren assistiren zu lassen“. (15)


Abbildung in einer französischen Zeitschrift der 2. Hälfte des 19. Jh., Slg. Nagel

Doch all diese Maßnahmen gegen fahrende Quacksalber richteten wenig aus. Ihre Geschichte, die eng mit der Geschichte der anderen fahrenden Gruppen verknüpft ist, reicht weit bis ins 19. Jahrhundert hinein – wenn auch die Fähigkeiten schwanden, die man ihnen bei wachsendem Fortschritt der Medizin und sinkendem Aberglauben in der Bevölkerung zutraute. Die anfangs erwähnten Mittel der Traber-Truppe dürften vornehmlich in ländlichen Gebieten Anklang gefunden haben und die „Chirurgen“ und „Operateure“ auf den Jahrmärkten, die im 18. Jahrhundert noch Eingeweidebrüche behandelten und als Stein- und Starstecher agierten, beschränkten sich auf das Zähneziehen sowie kleinere Eingriffe bei Hühneraugen, „verhärteten Frostbeulen“ oder eingewachsenen Nägeln.
Wie viel umfassender waren da die Behandlungsbereiche ihrer Kollegen früherer Zeiten, die kaum zugegeben hätten, gegen eine Krankheit kein Mittel oder eine „schmerzfreie“ Behandlungsmethode zu haben (16), wie auch nachfolgende Parodie aus einem Fastnachtsspiel durchklingen lässt. Das Lied weist sicherlich nicht zufällig Ähnlichkeiten zum bekannten Spotttlied auf Dr. Eisenbarth auf, das allerdings erst um 1800 entstanden ist.
„Hört ihr Herren all gleich!
Es kommt ein Meister künstenreich.
Er nennt sich Meister Vivian,
Der sieben Künst er wohl echt (…) kann.
Er kann mit meisterlichen Sachen
Die Blinden reden machen.“ (17)

"Leichtgläubigkeit" (Moritz Bauernfeind),  Jugend 1913 Nr.11

Während man fahrenden Unterhaltungskünstlern keinerlei heilkundige Kompetenzen mehr zutrauen würde, finden heutige Quacksalber ihr Publikum auf anderen Wegen: Sie nutzen Boulevardblätter und moderne Medien wie Internet und Privatfernsehen, um ihre Wundermittel unter Vortäuschung vermeintlich wissenschaftlicher Erkenntnisse anzupreisen, nicht selten mit esoterischem Einschlag. Die Werbestrategien, die sie hierbei nutzen, sind dabei im Grunde die ihrer Vorgänger auf den Jahrmärkten vergangener Tage.
Auch die Zielgruppe hat sich nicht verändert: "... die vielen, die Disponierten, die Trunkenen der Illusion, die verlangen, wenn die Erde das Glück verweigert hat, von einem andern Stern das Glück; wenn die Welt keinen Erfolg gewährte, so suchen sie den Erfolg in einer Geisterwelt; wenn bittere Gegebenheiten zu Existenzgesetzen werden, so rufen sie nach dem, vor dessen Zauberstab Gesetze weichen. Die Halbgebildeten sind des Charlatans Gefolgschaft, die Schwachen und Leidbeladenen seine Beute." (18)

Werbung für das "Nerven-Nährpräparat Nervosin", frühe 20er Jahre

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(1) Arnold, H.: Randgruppen des Zigeunervolks. Neustadt/Wstr.1975, S.157f, (2) Danckert, W.: Unehrliche Leute. Die verfemten Berufe. Bern 1963, S.250f, (3) vgl. ebenda S.218, (4) Garzoni, Thomaso: Piazza Universale: Allgemeiner Schauplatz/ Marckt und Zusammenkunfft/ aller Professionen/ Künsten/ Geschäfften/ Händeln und Handwercken. Frankfurt 1659. Nachdruck Nürnberg 1962, (5) Jay, R.: Sauschlau und Feuerfest. Menschen, Tiere, Sensationen des Showbusiness. Offenbach 1988, S.316, (6) vgl. Hampe, Th.: Die fahrenden Leute in der deutschen Vergangenheit. Leipzig 1902, S.118, (7) vgl. Stichler Carl: Reisende Ärzte, Wunderdoktoren und Medizinhändler des 17. Jahrhunderts. In: K. Sudhoff (Hg.): Archiv für Geschichte der Medizin. 2. Bd. Leipzig 1908, S.285ff, (8) zit.n. Hampe 1902, S.108, (9) vgl. ebenda, (10) Bose, G./ Brinkmann, E.: Circus. Geschichte und Ästhetik einer niederen Kunst. Berlin 1978, S.24, (11) Hampe 1902, S.107, (12) ebenda, S.106, (13) vgl. Schöppler, Hermann: Eine Medizinalordnung der Freien Reichsstadt Regensburg. In Sudhoff 1908, S.127, (14) vgl. Stichler 1908, S.286ff, (15) Beneke, O.: Von unehrlichen Leuten. Cultur-historische Studien und Geschichten aus vergangenen Tagen deutscher Gewerbe und Dienste mit besonderer Rücksicht auf Hamburg. 2. Aufl. Berlin 1889, S.58, (16) vgl. Kopecny, A.: Fahrende und Vagabunden. Ihre Geschichte, Überlebenskünste, Zeichen und Straßen. Berlin 1980, S.56, (17) zit.n. Hampe 1902, S.107, (18) Grete de Francesco: Die Macht des Charlatans. Basel 1937, S.32f


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