Sonntag, 4. Dezember 2011

Vorhang auf, Film ab


Filmplakat italienischer Herkunft für einen "Sandalenfilm"

"Das letzte Geheimnis" Plakat aus den 50er Jahren (Detail)
Jahrmarkt und Varieté bilden die Ursprünge des Kinos. Die ersten "lebenden Bilder" wurden in Schaubuden ("Kinematographen", "elektrischen Theatern", "Bioscopen"), und als Teil von Varietévorstellungen gezeigt. Die Programme waren auf das Publikum dieser volkstümlichen Unterhaltungsstätten zugeschnitten und boten neben dokumentarischen Aufnahmen, trivialdramatische und humoristische Spielszenen, Artistik sowie die ersten Filmtricks in der Tradition der Bühnenillusionisten.

Insbesondere im Bereich reißerischer "B-Movies" konnte das Kino diese Herkunft vom Schaustellungswesen lange Zeit nicht verleugnen, was sich nicht zuletzt in der Gestaltung der Filmplakate zeigt. Die Filmplakate erinnern im Stil oftmals an Schaustellerplakate.



Filmplakat von Renato Casaro
Aus dieser Tradition heraus mag sich auch der typische Stil italienischer Plakate für Sandalen-, Horror- Erotik- und Westernfilme sowie Circusse und Schaustellungen erklären. Italienische Graphiker wie Colizzi, Casaro oder Picchioni arbeiteten sowohl für die Filmindustrie als auch für Circusse.







Detail der Fassadenbemalung eines Schaugeschäfts

Nach kurzer Zeit war es das Kino, das den Schaustellungssektor beeinflusste, so sind Leinwand-Größen bis heute ein beliebtes Motiv für die Gestaltung der unterschiedlichsten Geschäfte.

Die Popularität des Kinos hatte aber auch Auswirkungen auf die Art diverser Schaustellungen, die sich nicht selten thematisch an erfolgreichen Filmen orientierten. Ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit war in den 80er Jahren das Wiederaufkommen von Hai-Schaustellungen im Gefolge des Kassenhits "Der weiße Hai".




Bilder: Filmplakate Sammlung Nagel
          Foto Nagel
          Werbeflyer für eine Hai-Show mit einem Entwurf von M. Ferrari, Sammlung Nagel



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Dienstag, 29. November 2011

Das kenn' ich doch ...

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Meine "Verwunderung" war groß, als ich beim Durchblättern eines Bändchens über den Bremer Freimarkt aus dem Jahr 2010 auf einige nur geringfügig veränderte Textpassagen aus "www.schaubuden.de" stieß, die nicht als Zitate kenntlich gemacht sind, die Quelle wird nicht einmal im Quellenverzeichnis aufgeführt.
Folgende Beispiele mögen die kritikwürdige Art der Aneignung z.T. prägnanter fremder Formulierungen - meiner und der von mir zitierten - belegen. Stellen aus "schaubuden.de" sind grün unterlegt, Texte aus Johann-Günther König: Der Bremer Freimarkt. Bremen, Kellner 2010, rot.

Für Illusionsbuden waren gute Rekommandeure, die während der “Parade” mit Kostproben der Vorstellung vor der Schaubude das Publikum anlockten, besonders wichtig. Oftmals hatten die Budenbesitzer diese Rolle selbst inne. Sie geizten nicht mit den phantastischen Übertreibungen und versprachen all das, was die Besucher an Sensationen, Wundern, Exotik, Erotik erwarteten, humorvoll, oft augenzwinkernd (...) - und immer reißerisch. “Die breite Masse wollte dem Zauber der Illusion erliegen bzw. wollte über ihre Einfältigkeit selber lachen können. (...)" (La Speranza 1997, S.50)  (S.41)
Insbesondere für Illusionsbuden waren gute Rekommandeure ein Muss. Oftmals übernahmen die Budenbesitzer diese Rolle selbst und geizten gewiss nicht mit fantastischen Übertreibungen. Kurz, sie versprachen augenzwinkernd und garantiert reißerisch all das, was die Freimarktsgänger an Sensationen, Wundern, Exotik und nicht zuletzt Erotik erwarteten.  Die als stocksteif verschrienen Bremer wollten einmal im Jahr der Illusion erliegen oder über ihre Einfältigkeit einmal selbst lachen können. (S.54f)

Der Jahrmarkt trug durchaus dazu bei, dass breite Bevölkerungsschichten ihr Wissen von der Welt erheblich erweitern konnten. (...), die “anatomischen Kabinette” in den Panoptiken gewährten Einblicke in das Innere des menschlichen Körpers, außerdem zeigten sie neben Wachsbildnissen bekannter Persönlichkeiten allerlei Naturkundliches sowie mitunter auch „hervorragende Erfindungen der Neuzeit“ wie z.B. Röntgenapparate und –bilder. (S.14)
Der Freimarkt trug zweifellos dazu bei, das Wissen von breiten Bevölkerungsschichten zu erweitern. Nicht zuletzt die "anatomischen Kabinette" ermöglichten normalerweise kaum mögliche Einblicke in das Innere des menschlichen Körpers. Hinzu kam die Demonstration von Röntgenapparaten und "anderen "hervorragenden Erfindungen der Neuzeit" mehr. (S.54)

Im weiteren spricht König von "komplett mit allem Zubehör von spezialisierten Herstellern gelieferten"  Spiegelillusionen, mit denen vor allem "der weibliche Körper in Teilen oder oder auch seltsam entfremdet präsentiert wurde" (S.55) - genau meine Worte ... (S.35/ 38)

Die Schaugelüste in diesen prüden Zeiten waren dabei auch erotischer Natur: “Die erotische Faszination der ‘muskelös-sehnigen, schlanken, geschmeidigen Menschen, die fast völlig nackt gingen’, blieb nicht auf Männer beschränkt, auch wenn die überproportionale Besetzung der Völkerschauen mit möglichst ‘ursprünglich’ bekleideten Frauen deutlich auf männliche Bedürfnisse berechnet war. In der Presse wurde aber vor allem immer wieder hervorgehoben, wie die ‘herkulisch-animalischen’ Körper der Neger besonders die ‘Damenwelt’ faszinierten. (...)” (Stephan Oettermann in Kosok/ Jamin 1992, S.96)
 (...) Viele Schaubuden zeigten keine “ungezügelten Wilden”, (...): “Aber sie holten sich dazu keine Afrikaner, das wäre zu teuer. Ihre Arbeitsburschen mußten sich Hände und Gesichter mit Schuhcreme einschmieren, und schon waren die ‘Neger’ fertig!” (Kürschner 1998, S.25f) (S.144)
Wenn auch die überproportionale Besetzung des Völkerschauen mit angeblich "ursprünglich" bekleideten Frauen zweifellos auf die männlichen Bedürfnisse zielte, so waren die erotischen Schaugelüste in jenen prüden Zeiten zugleich auch ein Bedürfnis der Damen, denen Presseberichten zufolge "muskulös-sehnige" bzw. "herkulisch-animalische" Körper der "Neger" zusagten. 
... Allerdings zeigte so manche Schaubude gar keine "ungezügelten Wilden" - denn die Afrikaner waren vielen Schaustellern zu teuer. Sie beschäftigten schlanke Arbeitsburschen, die sich mit Schuhcreme einschmieren mussten. (S.58)

Von Verlagsseite wurde mir mitgeteilt, dass die Angabe im abschließenden Quellenverzeichnis versehentlich nicht aufgenommen wurde und zukünftig ein Aufkleber mit entsprechendem Nachtrag eingeklebt werde. So ein Versehen kann passieren und mit dem Aufkleber wird angemessen reagiert.
Die oben dokumentierte Art der Aneignung fremder Texte durch den "freiberuflichen Autor" und Vorstandsmitglied regionaler Schriftstellerverbände Dr.(!) Johann-Günther König muss in diesem Fall jedoch weiterhin kritisiert werden. Entweder mache ich genaue oder indirekte Zitate entsprechend kenntlich oder ich schreibe meine Texte selbst. 

Auch in anderen Veröffentlichungen wurde sich auf unredliche Weise bei "schaubuden.de" bedient. In den "geringsten" Fällen mit Zitaten, die nicht auf eigener Recherche beruhen, sondern - so übrigens ebenfalls hier - einschließlich der Quellenangaben einfach bei "schaubuden.de" abgeschrieben wurden.

Mittwoch, 14. September 2011

Guck 'mal!

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Das Leben der einfachen Leute war bis weit ins 19. Jahrhundert im Vergleich zu heute von einer ausgesprochenen Bilderarmut geprägt. Einblicke in die Welt außerhalb des begrenzten Lebensraums ermöglichte vor allem der Besuch des Jahrmarktes. So konnte man Guckkastenmann für kleines Geld im wahrsten Wortsinne Einblicke in fremde Länder, große Städte sowie prachtvolle Paläste gewinnen.
Die Kästen verfügten über eine vergrößernde Linse und oftmals über einen Spiegel, der hinter der Linse in einem 45°-Winkel angebracht war. Dies verstärkte die räumliche Wirkung und die die Blätter konnten einfach eingelegt werden.

Guckkastenbild von Amsterdam, Ende 18.Jh., Sammlung Nagel

Die Beleuchtung der Szenerien erfolgte durch Tageslicht oder auch künstliche Lichtquellen im Kasten.
Mitunter ermöglichte eine vor und hinter dem Blatt angebrachte Beleuchtung Tag und Nacht im Wechsel darzustellen. Fensteröffnungen oder Himmelspartien der Guckkastenblätter wurden dazu mit farbigem Transparentpapier hinterlegt, so dass Fenster, Laternen, Gestirne usw. in der Nachtansicht leuchten.
Auch bei der Beleuchtung durch Tageslicht konnte ein Wechsel der Tageszeiten durch einen regulierbaren Lichteinfall simuliert werden. Bei einigen Blättern, den sogenannten Verwandlungs- oder Durchscheinbildern, änderte sich mit dem Wechsel des Lichteinfalls die Szenerie noch weitgehender.

Im Verlauf des 19. Jahrhundert waren die umherziehenden Guckkastenmänner immer seltener anzutreffen. Auf den Jahrmärkten kamen Kleinpanoramen auf, in denen Bilder bzw. Dioramen ebenfalls durch Linsen betrachtet werden konnten. Die eigentlichen Guckkästen hielten sich noch recht lange Zeit im Miniaturformat vor allem zur Kinderunterhaltung.


Foto Nagel
Mit den seit den 1950er Jahren produzierten "Plastiskopen" konnte sich eine Art Miniaturguckkasten bis in die Gegenwart retten. Diese kleinen bunten Bildbetrachter, bezeichnenderweise zumeist in der Form von Fernsehern, waren bis in die 70er beliebte Urlaubs-Souvenirs. Durch eine kleine Vergrößerungslinse können Serien von einigen wenigen Bildern betrachtet werden.
Oft handelt es sich bei diesen Miniatur-Dias, die durch Knopfdruck weitertransportiert werden, um stark nachkolorierte Photographien ausgesucht idyllischer, sonnenbeschienener Motive. Als Kind waren diese Mitbringsel für mich von ganz besonderem Reiz; zeigten sie doch die mehr oder weniger fernen Reiseziele in einem ganz besonderen Licht - und überaus farbenprächtig. Heute bewirken die alten Bildserien zudem einen sehr reizvollen, fast verklärenden Blick auf die 50er und 60er Jahre.



Mittwoch, 27. Juli 2011

Der falsche Doktor und die Surrealisten

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Die Schaustellungen auf dem Jahrmarkt lieferten Anregungen für zahlreiche Werke von Literaten und bildenden Künstlern, aber auch von Fotografen und darstellenden Künstlern.
Im Fall des Malers Paul Delvaux (1897-1994) bildete der Besuch in einer Schaubude sogar einen entscheidenden Anstoß für seine Wandlung zu einem der bedeutendsten surrealistischen Maler: "Als die Brüsseler Kirmes öffnete, ging ich jeden Morgen und Abend dort spazieren, und da sah ich, dass es dort eine Bude gab, in der das Spitzner-Museum untergebracht war. Dieses Spitzner-Museum war für mich eine großartige Entdeckung. Das war wirklich eine sehr wichtige Wende, und ich kann Ihnen heute sagen, dass diese Entdeckung zeitlich zwar vor der De Chiricos lag, dass sie aber die gleiche Bedeutung hatte. (...) Die Entdeckung des Spitzner-Museums hat meine Auffassung von der Malerei verändert. Ich stelle damals fest, dass man durch die Malerei ein Drama ausdrücken und dabei doch ganz im plastischen Bereich bleiben konnte. Vor allem der Gegensatz zwischen dem Drama, der Pseudo-Wissenschaftlichkeit des Spitzner-Museums, der ungesunden, ungewöhnlichen und düsteren Atmosphäre und der Umgebung auf dem Marktplatz mit den Buden, den Karussells und der Musik, deren Fröhlichkeit aufgesetzt klang. Das war ein ganz starker Gegensatz zu dieser Seite." (1)

Das Spitzner-Museum, welches Delvaux in den frühen 1930er Jahren Anregungen für zahlreiche Bilder lieferte und im Jahr 1943 sogar titelgebendes Thema eines seiner Hauptwerke war (2), zählte zu den anatomischen-pathologischen Wachsfigurenkabinetten, die sich aus den entsprechenden Sonderabteilungen der Panoptiken entwickelt hatten (3). Wie einige seiner Kollegen auch, hatte sich Pierre Spitzner einen falschen Doktortitel zugelegt.
Delvaux beschreibt das Spitzner-Museum als "ziemlich lange Hütte mit Samtvorhängen". "An einer Wand war eine Darstellung von Doktor Charcot, der eine hysterische Frau in Trance einem Auditorium von Wissenschaftlern und Studenten vorführte. Dieses Bild war umso beeindruckender, als es sehr realistisch gemalt war. Mitten im Eingang zum Museum saß die Kassiererin, umgeben von einem menschlichen Skelett und, mehr im Vordergrund, von einer mechanischen Puppe in einer Glasvitrine: die Schlafende Venus. An der anderen Wand hing eine Darstellung Doktor Pasteurs am Krankenbett eines Kindes. Im Innern des Museums gab es eine Reihe ziemlich schrecklicher und dramatischer anatomischer Wachsabgüsse, an denen man die Schrecken der Syphilis und der Missbildung studieren konnte. Und das alles mitten in der hektischen Fröhlichkeit der Kirmes. Dieser Kontrast war so erregend, dass ich tief beeindruckt war. Ich kann ihnen versichern, dass dies lange Zeit große Auswirkungen auf mein Leben gehabt hat." (4)

Die erwähnte "Schlafende Venus", die Wachsfigur einer schönen jungen Frau, war Bestandteil vieler Wachsfigurenkabinette und zielte wie einige andere Exponate auch vor allem auf die Schaulust bzw. die Phantasien des männlichen Publikums. Eine besondere Variante, die ebenfalls bei Spitzner ausgestellt war, stellte die "Anatomische Venus" dar.  Eine "Anatomische Venus" ließ sich zerlegen und ermöglichte so den Blick in das Innere des Körpers. Sie war oft das wertvollste Stück der Sammlung und wurde i.d.R. vom Besitzer persönlich vorgeführt.

Die Schlafende Venus aus Spitzners Panoptikum war ein immer wiederkehrendes Motiv bei Paul Delvaux: "Jede Schlafende Venus, die ich gemalt habe, hat dort ihren Ursprung. Sogar die, die in London in der Tate Gallery hängt. Sie ist die exakte Transkription der Schlafenden Venus aus dem Spitzner-Museum, allerdings mit griechischen Tempeln oder Schaufensterpuppen, mit allem, was sie wollen. Das Drumherum ist gleichgültig, aber das tiefe Gefühl hat seinen Ursprung dort." (5)

Spitzner präsentierte in seiner umfangreichen Sammlung besonders vielfältige und makabere, aber auch sehr qualitätsvolle Wachsmodelle, die "derart lebensnah und gleichzeitig befremdlich wirkten", dass sie außer Delvaux "mehreren Surrealisten zu neuen Ideen und Sehweisen verhalfen." (6) 
Die Vermutung liegt nahe, das auch der berühmte Prolog im Film "Der andalusische Hund" von Bunuel und Dalí (1928/29) von einer Moulage in Spitzners-Sammlung oder einem anderen "anatomischen Museum" inspiriert war. Moulagen diverser Operationstechniken bildeten einen Hauptbestandteil dieser Panoptiken, wobei die obligatorische Darstellung des Starstechens noch zu den harmloseren Beispielen zählte. Bunuel will durch einen Traum zu seiner Szene angeregt worden sein - vielleicht war es letztlich aber der Besuch in einem Panoptikum: 

"Der andalusische Hund" - Szenenbild aus dem Prolog
Moulage aus Spitzners Sammlung (7)


(1) Barbara Emerson: Delvaux. Antwerpen 1985, S.57
(2) http://en.wahooart.com/A55A04/w.nsf/Opra/BRUE-7ZS7EQ
(3) siehe www.schaubuden.de , Kapitel I
(4) Emerson 1985, S.57f
(5) ebenda, S.119
(6) Der Spiegel 23/1985, S.210f
(7) Guido van Genechten: Kermis. Het Spiegelpaleis van het Volk. Gent 1986, S.186


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Samstag, 16. Juli 2011

Der Vegetarier als Freak

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Zum Beginn des 20. Jahrhunderts Jahren waren für weite Teile der Bevölkerung den Möglichkeiten zum Ausleben der eigenen Individualität noch Schranken gesetzt, ein "standesgemäßes", den allgemeinen Vorstellungen entsprechendes "normgerechtes" Aussehen war selbstverständlich. Um so größer war das Interesse  am "Abnormen", am "Andersartigen", von dem nicht zuletzt die Schaubudenbesitzer profitierten. Ein Beispiel sind die Ganzkörpertätowierten, die früher häufig ihr Auskommen als Schauobjekte fanden und heute kaum noch beachtet werden. Das Schaulust am "Abnormen" ist dabei durchaus nicht zurückgegangen, ihre Objekte sind nur zum Teil andere geworden - und die Orte ihrer Präsentation ...
Auch nicht konforme Verhaltensweisen weckten stets die Neugier. Obwohl der Vegetarismus zur Jahrhundertwende bereits viele Anhänger hatte und sich in der Folgezeit zu einer recht breiten Bewegung entwickelte, konnte der Vegetarier Josef Weisgärber aus seiner "abnormalen" Lebensführung sogar Profit schlagen:

Sammlung Nagel