Samstag, 21. November 2009

Neu auf schaubuden.de


    Schaubude aus einem Schuhkarton, Heike Sprung 2001
                                           
Aktualisierungen meiner Internet-Monographie können auf

Donnerstag, 5. November 2009

Hauen und stechen


Der Jahrmarkt bot vor allem in früheren Zeiten Jugendlichen eine der wenigen Gelegenheiten, einmal richtig über die Stränge zu schlagen, sich darzustellen und zu beweisen – nicht zuletzt mit Blick auf das andere Geschlecht.
Schießbude, „Hau den Lukas“ und Elektrisiermaschine, die man(n) keinesfalls losließ, wenn der Zeiger noch auf „Halbstarker“ oder gar „Schlappschwanz“ stand, boten u.a. Gelegenheiten zur Selbstdarstellung; die auf vielen Schützenfesten und Kirmessen obligatorischen Prügeleien in aufgeheizter und angetrunkener Stimmung zu vorgerückter Stunde in weit weniger schadloser Form ebenfalls.
Formen körperlicher Auseinandersetzung wurden aber auch von den Schaustellern in vielfältiger Weise institutionalisiert, so zum Beispiel in den Stabuffs, in denen Ring- und Boxkämpfe ausgetragen wurden. Die Kämpfe waren dabei durchaus nicht immer getürkt und viele Jugendliche aus den Vorstädten und umliegenden Dörfern nutzten die Chance, es vor den Augen ihrer „Kumpels“ oder ihrer „Braut“ mit einem Kirmesringer oder –boxer aufzunehmen. Wenn sie letzteren dabei zu sehr provozierten, konnte das sehr unangenehme Folgen für die Herausforderer haben…

Darüber hinaus wurde auf den Jahrmärkten lange Zeit auch gefochten:
Le Parade de Boulevard de Sailnt-Aubin (1760)
Im 17. und 18. Jahrhundert erfreute sich die Fechtkunst im bürgerlichen Milieu der Städte großer Beliebtheit, auch hier wollte man dem Adel nacheifern.
Es kam zu Gründungen von Fechtergesellschaften, Fechthäusern und Fechtschulen. Wandernde Handwerksburschen und fahrende Gaukler führten dieser Mode folgend ebenfalls Schaukämpfe vor, wobei bei den Handwerksburschen oftmals die Bettelei im Vordergrund stand, so dass das Wort „fechten“ in zunehmendem Maße zu einem Synonym für „betteln“ wurde. (1)
In erster Linie gehörten fahrende Fechter zur Gruppe der „Klopffechter“, die selbst unter den „unehrlichen Leuten“ auf einer besonders niedrigen Stufe angesiedelt waren, fast gleichgesetzt mit Räubern. (2)
Obwohl die „Künste“ der Klopffechter, die allein auf die Schauwirkung bzw. einen größtmöglichen Unterhaltungswert abzielten, unter seriösen Fechtern ein denkbar schlechtes Ansehen genossen, hatten sie als Jahrmarktsattraktion einen großen Zuspruch beim einfachen Volk:
„Daher kommt, wann etwan ein neuer marktschreier, gaukler oder spiler angelanget, dass man den mit grossem zulauf zu sehen und zu hören sucht: insbesonderheit lauft die menge zusammen, wann neue zweikämpfer und fechter ankommen, um zu sehen, wie diesselben auf einanderen loss gehen, einanderen parieren, hieb, stich und schläg versetzen.“ (3)
„Besondere Arten der Klopffechter“ waren die sogenannten „Katzenritter“. Sie zeigten riskante Tierhetzen und -gefechte, womit die Aktivitäten der Klopffechter insgesamt an alte römische Gladiatoren- und Tierhetzschauspiele erinnern. (4)
Klopffechter bzw. Katzenritter wurden im 17. und 18. Jahrhundert unterschiedslos zu den übrigen fahrenden Artisten gezählt, eine Gleichsetzung, die insbesondere auch Rückschlüsse über das Ansehen von Gauklern und Komödianten zulässt:
„So sagt z.B. Chr. Gerber in seiner Schrift ’Sünden der Welt’ (…): ’solche sind nun die unseligen gaukler, seiltänzer, taschenspieler, comoedianten, feuerfresser, klopfechter und wie das geschmeiss alles mag genennet werden, (…).’“ (5)
Entsprechend dieser Gleichsetzung der Erscheinungsformen fahrender Artisten richteten sich auch obrigkeitliche Maßnahmen oft unterschiedslos auf mehrere dieser Gruppen:
„(…) bestimmen die bairischen Landrechte von 1533 und von 1616, fol.164, dass ein Kind enterbt werden könne: `so ohne der Eltern Willen sich in leichtfertig Übung und Bubenleben begebe, als ein Freyhartsbueb oder ein Gauckler wurde, oder liesse sich, mit den Thieren zu kämpfen, umb Geld bestellen.` “ (6)
Im Verlauf des 18. Jahrhunderts erlahmte das Interesse am öffentlichen Schaufechten, Tierhetzen blieben hingegen bis zum Ende des Jahrhunderts recht populär. In Wien entstand sogar ein großes überdachtes „Hetztheater“ für mehrere tausend Zuschauer. (7)
Schaukämpfe mit Schwertern erleben mit dem Aufkommen der populären Ritterspiele und „mittelalterlichen Märkte“, die in der Regel ein überaus verzerrtes Bild vom Treiben auf den Jahrmärkten des Mittelalters liefern, seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts eine große Renaissance.
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(1) Schaer, Alfred: Die altdeutschen Fechter und Spielleute. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Straßburg 1901, S.33 (2) vgl. Danckert, Werner: Unehrliche Leute. Die verfemten Berufe. Bern 1963, S. 224 (3) Schweizerisches Idiotikon 1688. Bd.1, S.667, zit.n. Schaer 1901, S.51 (4) vgl. Hampe, Theodor: Die fahrenden Leute in der deutschen Vergangenheit. Leipzig 1902 (= Monographien zu deutschen Kulturgeschichte, hg. von Georg Steinhaufen.18) S.11f; Schaer 1901, S.41 (5) Schaer 1901, S.66 (6) ebenda S. 44 (7) siehe Hampe 1902, Beilage 2

Gemälde von Gabriel Jacques de Saint-Aubin aus der Londoner Nationalgalerie in: Daheim. 
Ein deutsches Familienblatt. 48. J.g. Nr.11, 16. Dezember 1911, S.21
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Sonntag, 25. Oktober 2009

Mit Pauken und Trompeten


Illustration in einer französischen Zeitschrift aus dem Jahr 1884, Sammlung Nagel

Die Schaubudenbesitzer versuchten mit vielerlei Mitteln die Aufmerksamkeit der Kirmesbesucher auf ihr Geschäft zu lenken um sie letztlich zum Besuch ausgerechnet ihres Etablissements zu bewegen. Das wichtigste Mittel hierbei war die "Schau vor der Schau", die "Parade" auf dem Podium vor der Bude, mit den wortgewaltigen Anpreisungen des Rekommandeurs und Kostproben aus der Vorstellung. Daneben wurden zahlreiche akustische Mittel eingesetzt, die in ihrer Vielzahl und Verschiedenartigkeit für ein höchst interessantes Klangbild in den "Budengassen" gesorgt haben düften...
Bei kleineren Buden besorgten zumeist Familienmitglieder die musikalische Untermalung der Parade, zumindest wurde kräftig "auf die Pauke" gehauen und der Rekommandeur unterstützte seinen Vortrag durch heftiges Läuten seiner Glocke. 
Größere Schaustellungen führten kleine Ensembles mit. Die Musiker kamen vor allem aus Böhmen und der Pfalz - sehr häufig aus der Gegend um das Dorf Mackenbach, so dass bei Schaustellern und Circussen engagierte Musiker im Jargon der Reisenden "Mackenbacher" genannt wurden. Es war aber auch durchaus üblich, Musiker vor Ort für die Dauer des Jahrmarkts zu engagieren. Die Kapellen spielten bei der Parade auf und begleiteten die Vorstellungen von Liliputanershows, Zauberern und Jahrmarktvarietés oder -circussen.
Letztendlich waren die zahlreichen lautstarken Jahrmarktsorgeln, die ganze Orchester imitieren konnten, eine Möglichkeit das Publikum anzulocken. Diese Orgeln bildeten mit ihrem überbordenden Jahrmarktsbarock und den beweglichen Figuren zudem einen ansprechenden Blickfang und wurden deshalb stets an exponierter Stelle im Fassadenbereich aufgestellt. Besonders Kinematographen und Panoptiken verfügten häufig über besonders eindrucksvolle Orgeln. Als Zentrum des Orgelbaus erlangte Waldkirch im Breisgau große Bekanntheit. Viele der dort vor allem von den Firmen Ruth und Bruder produzierten Jahrmarktsorgeln sind seit Generationen im Besitz alter Schaustellerfamilien und bilden nostalgische Schmuckstücke im hektischen Treiben auf dem Rummel unserer Tage.
Daneben präsentieren einige Sammler und Museen die alten Schätzchen im tadellosen und oftmals funktionstüchtigen Zustand. Die nachfolgend abgebildete Ruth-Orgel aus dem Besitz von Ruud Vader ist das Exemplar, welches auf dem Foto einer Liliputanerbude vom Anfang des 20. Jahrhunderts zu sehen ist. Sie wurde 1907 ausgeliefert und beschallte später eine Krinoline sowie ein kleines Riesenrad, eine sog. "Russische Schaukel".










(Die Informationen zur Geschichte der Orgel sowie das Farbfoto stammen von Ruud Vader, die alte Abbildung ist aus meiner Sammlung.)








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Sonntag, 20. September 2009

Walburga








Die Nummer 5 meiner Sideshow-Banner ist eine "Riesen- oder Kolossaldame" mit dem passenden Namen "Walburga". Nähere Informationen zur Schaustellung besonders übergewichtiger Menschen finden sich im Kapitel "Abnormitäten" bei www.schaubuden.de.

Inspirationen suchte ich diesmal naheliegenderweise bei Rubens und Botero - und entschied mich schließlich für Botero, genauer sein Bild "woman drinkung with cat". Viel verändern musste ich diesmal nicht.


Samstag, 29. August 2009

Allerlei Mittel für glänzendes Falschgeld, geschmeidige Fürze und den verderbten Magen


Es ist gut möglich, dass auch dieser Zauberer am Schluss der Vorstellung den Dorfbewohnern
 ein Mittel gegen diverse Unpässlichkeiten offerierte. (Holzstich, Sammlung Nagel)

Der zu Lebzeiten sehr berühmte Zauberer Alexander Heimbürger aus dem vorherigen Eintrag verkaufte nach der Rückkehr von seiner viele Jahre währenden Amerika-Tournee in seiner Heimatstadt Münster ein Wund- und Abführmittel, das noch Jahrzehnte nach seinem Tod vermarktet wurde.
Der Verkauf von Heilmitteln oder sogar die Ausübung heilpraktischer Behandlungen durch Zauberer bzw. Taschenspieler bildete zu dieser Zeit zwar nur noch eine Ausnahme, kam bis ins 19. Jahrhundert hinein jedoch nicht selten vor. Friedrich Josef Basch, der u.a. "das Aufziehen eines Kindes bei einem Haare" vorführte, bot seinem Publikum sinnigerweise ein Haarkräftigungsmittel an. Auch andere fahrende Artisten waren hier tätig. So wird von den Vorfahren der auch heute noch als Seilläufer bekannten Traber-Sippe Folgendes berichtet: „Ein Louis Traber, (…), weilte 1808 mit einer Truppe von 12 Personen, 2 Wagen und 5 Pferden in Kettwig an der Mosel. Nachdem sie mit Seiltanzen das Volk amüsiert hatten, priesen sie die Wirkung ihrer Heilmittel und ihre medizinischen Kenntnisse. Sie besäßen das Geheimnis, leicht alle Krankheiten zu heilen. Ihre Medizin verkauften sie zu enormen Preisen und suchten dann das Weite. Wenig später wurde aus Rhens berichtet, ihre Frauen hausierten in Dörfern mit einem Mittel, das nicht nur geeignet sei, gewisse Krankheiten zu heilen, sondern auch Falschgeld einen neuen Schimmer gebe. (…) Alois Taber (…) heiratete die ‚umherziehende Marionettenspielerin’ Franziska Witthauer, deren Eltern ein ‚Chirurgus’ und eine Marionettenspielerin waren.“ (1)
Das Beispiel steht in einer langen Tradition der Verbindung von Gaukelei bzw. Schaustellerei und Quacksalberei, die im 17. und 18. Jahrhundert ihren Höhepunkt hatte und bis ins Mittelalter zurückreichte.
Schon der mittelalterliche Spielmann war neben seinen hauptsächlichen Betätigungsfeldern Artistik und Musikantentum oft auch ein Heilkünstler bzw. „Heilzauberer“. Auf die sehr wahrscheinlichen Verbindungen zum Schamanismus weisen u.a. die bis heute erhaltenen Spuren des Musikantenmagiers und Heilkünstlers in Südosteuropa hin:
„Durch die Szekler in Siebenbürgen sind in Ungarn sehr alte Bräuche einer religiösen Spielmannschaft erhalten geblieben. Die Spielleute waren Schamanen, die der Heilkunst, der Zauberei und der Musik zugleich kundig waren. Die kultische Handlung wurde durch Tanz, Gesang und turnerische Kunststücke vorbereitet, zu denen die Trommel geschlagen und ein Zauberspruch rezitiert wurde, (…)“ (2)
Auch die Gaukler der Neuzeit traten häufig als Heilkundige in Erscheinung. (3) „Der eine hat Wurmsamen/ der ander Bilsensamen für das Zahnwehe/ der ander Pulffer/ welches die Harnwinde vertreibet/ oder einen Furtz geschmeidig macht/ dass man ihn nicht höret/ damit mannichem wol bei guter Gesellschaft gedienet wird…“ (4)
Besondere Beachtung verdient Manfredi von Malta, der als Hochseilläufer und Akrobat, der einen Stein von angeblich 700 Pfund mit den Locken seiner Haare hob, auftrat. Vor allem aber „trank er große Mengen Wasser und spie sie in wechselnden Fontänen aus. Er scheint sogar die Flüssigkeiten abgewechselt zu haben, die aus seinem Munde kamen: einmal war es Wein, dann Bier, Öl, Milch und verschiedene Duftwässer.“ (5) Seinem Publikum konnte er hierbei gleich die Wirkung seines „vortrefflichen Balsams für den verderbten Magen“ demonstrieren, das auf einem erhaltenen Ankündigungszettel aus dem 17. Jahrhundert neben seinen artistischen Künsten angepriesen wird (6).
Neben solchen Gauklern, die „nebenbei“ Heilmittel verkauften oder kleinere Behandlungen durchführten, gab es reisende Quacksalber, deren hauptsächliche Profession die Heilkunst war. Die lautstarken Anpreisungen ihrer Mittel und Dienstleistungen reichten bei zunehmendem Konkurrenzdruck auf den Messen und Märkten bald nicht mehr aus, um die Aufmerksamkeit des Publikums zu gewinnen. Viele engagierten daher Akrobaten und Possenreißer und ließen Tiere sehen. (7)
Welche Ausmaße der Pomp fahrender Ärzte erreichen konnte, zeigt eine Memminger Chronik aus dem Jahre 1724: „Am 2. Juli kam ein berühmter Arzt an, namens Joh. Ehr. Hüber, mit fünf Kutschen, darunter zwei sehr prächtig, hatte bei sich 50 Personen, darunter Frauen und Kinder, eine Zwergin, zwei Heiducken, zwei Trompeter und verschiedene Musikanten, (…), auch 18 Pferde und zwei Kamele. Er hatte sein Theatrum auf dem Ratzengraben, verkaufte seine Ware, spielte vor und nach Komödien, (…), hatte höfliche Leute und proper in Kleidern.“ (8) Bei einem späteren Gastspiel war seine Truppe sogar um 30 Musikanten, einen „Mohr“, einen Seiltänzer, sechs „Laquaien“ und „verschiedene Frauenzimmer und Personen“ verstärkt. (9) Auch der berühmte Doktor Eisenbarth verfügte über eine Artistentruppe von 120 Mitgliedern, „die Faxen machte, während er öffentlich Klistiere verpasste“. (10)
Während für das Mittelalter die Bedeutung fahrender Heilkünstler und heilkundiger Spielleute durchaus hoch einzuschätzen ist, verbreiteten die Mittel der Wunderheiler und Scharlatane der Neuzeit oftmals wohl mehr Schaden als Nutzen. Im besten Falle dürfte ihr „Elefanten- und Elchschmalz“ oder ihr „berühmter Planetenstein“ ohne jede Wirkung geblieben sein. Dies war jedoch nicht immer der Fall: „’Also haben’, sagt Dryander in der Vorrede zu seinem Arzneibuch 1542, ‚solche Landstreicher und Leutebescheißer zu allen Gebrechen eine Arznei, einen Trank, eine Salbe, ein Pflaster, oder etwas so Ungereimtes, dass mancher sich das Leben darob verzettet.“ (11)
Zunehmende Kritik fand außerdem das artistische Beiprogramm der Quacksalber. Schon im 15. und 16. Jahrhundert „wimmeln“ die Nürnberger Ratsprotokolle von Erlassen, „in denen ’Landfahrern’ oder ‚Himmelreichern’ verboten wird, ihr `Petroleom’, `Quirinusöl’, `Rosmarinbalsam’, `Skorpionöl’ oder `Elefantenschmalz’ usw. in Nürnberg feil zu halten.“ (12) In Regensburg durften sie zwar zu Jahrmarktszeit bzw. Kirchweih auftreten, sie mussten ihre Arzneien aber vorher durch niedergelassene Ärzte prüfen lassen. (13) Ähnlich verfuhr man in Zürich, wo Ärzte und Chirurgen eine Untersuchungsbehörde“, die sogenannte „Geschau“, bildeten. Umherziehende Ärzte durften dabei in den meisten Städten auch nur bestimmte Krankheiten behandeln, damit sie den niedergelassenen Ärzten möglichst wenig Konkurrenz machten. Außerdem verbot man immer wieder die aus Reklamegründen unentbehrlichen artistischen Darbietungen. (14) Auch in Hamburg untersagte man 1686 „den Zahnbrechern, Marktschreiern und Quacksalbern, sich auf ihren Theatern von Gauklern und Narren assistiren zu lassen“. (15)


Abbildung in einer französischen Zeitschrift der 2. Hälfte des 19. Jh., Slg. Nagel

Doch all diese Maßnahmen gegen fahrende Quacksalber richteten wenig aus. Ihre Geschichte, die eng mit der Geschichte der anderen fahrenden Gruppen verknüpft ist, reicht weit bis ins 19. Jahrhundert hinein – wenn auch die Fähigkeiten schwanden, die man ihnen bei wachsendem Fortschritt der Medizin und sinkendem Aberglauben in der Bevölkerung zutraute. Die anfangs erwähnten Mittel der Traber-Truppe dürften vornehmlich in ländlichen Gebieten Anklang gefunden haben und die „Chirurgen“ und „Operateure“ auf den Jahrmärkten, die im 18. Jahrhundert noch Eingeweidebrüche behandelten und als Stein- und Starstecher agierten, beschränkten sich auf das Zähneziehen sowie kleinere Eingriffe bei Hühneraugen, „verhärteten Frostbeulen“ oder eingewachsenen Nägeln.
Wie viel umfassender waren da die Behandlungsbereiche ihrer Kollegen früherer Zeiten, die kaum zugegeben hätten, gegen eine Krankheit kein Mittel oder eine „schmerzfreie“ Behandlungsmethode zu haben (16), wie auch nachfolgende Parodie aus einem Fastnachtsspiel durchklingen lässt. Das Lied weist sicherlich nicht zufällig Ähnlichkeiten zum bekannten Spotttlied auf Dr. Eisenbarth auf, das allerdings erst um 1800 entstanden ist.
„Hört ihr Herren all gleich!
Es kommt ein Meister künstenreich.
Er nennt sich Meister Vivian,
Der sieben Künst er wohl echt (…) kann.
Er kann mit meisterlichen Sachen
Die Blinden reden machen.“ (17)

"Leichtgläubigkeit" (Moritz Bauernfeind),  Jugend 1913 Nr.11

Während man fahrenden Unterhaltungskünstlern keinerlei heilkundige Kompetenzen mehr zutrauen würde, finden heutige Quacksalber ihr Publikum auf anderen Wegen: Sie nutzen Boulevardblätter und moderne Medien wie Internet und Privatfernsehen, um ihre Wundermittel unter Vortäuschung vermeintlich wissenschaftlicher Erkenntnisse anzupreisen, nicht selten mit esoterischem Einschlag. Die Werbestrategien, die sie hierbei nutzen, sind dabei im Grunde die ihrer Vorgänger auf den Jahrmärkten vergangener Tage.
Auch die Zielgruppe hat sich nicht verändert: "... die vielen, die Disponierten, die Trunkenen der Illusion, die verlangen, wenn die Erde das Glück verweigert hat, von einem andern Stern das Glück; wenn die Welt keinen Erfolg gewährte, so suchen sie den Erfolg in einer Geisterwelt; wenn bittere Gegebenheiten zu Existenzgesetzen werden, so rufen sie nach dem, vor dessen Zauberstab Gesetze weichen. Die Halbgebildeten sind des Charlatans Gefolgschaft, die Schwachen und Leidbeladenen seine Beute." (18)

Werbung für das "Nerven-Nährpräparat Nervosin", frühe 20er Jahre

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(1) Arnold, H.: Randgruppen des Zigeunervolks. Neustadt/Wstr.1975, S.157f, (2) Danckert, W.: Unehrliche Leute. Die verfemten Berufe. Bern 1963, S.250f, (3) vgl. ebenda S.218, (4) Garzoni, Thomaso: Piazza Universale: Allgemeiner Schauplatz/ Marckt und Zusammenkunfft/ aller Professionen/ Künsten/ Geschäfften/ Händeln und Handwercken. Frankfurt 1659. Nachdruck Nürnberg 1962, (5) Jay, R.: Sauschlau und Feuerfest. Menschen, Tiere, Sensationen des Showbusiness. Offenbach 1988, S.316, (6) vgl. Hampe, Th.: Die fahrenden Leute in der deutschen Vergangenheit. Leipzig 1902, S.118, (7) vgl. Stichler Carl: Reisende Ärzte, Wunderdoktoren und Medizinhändler des 17. Jahrhunderts. In: K. Sudhoff (Hg.): Archiv für Geschichte der Medizin. 2. Bd. Leipzig 1908, S.285ff, (8) zit.n. Hampe 1902, S.108, (9) vgl. ebenda, (10) Bose, G./ Brinkmann, E.: Circus. Geschichte und Ästhetik einer niederen Kunst. Berlin 1978, S.24, (11) Hampe 1902, S.107, (12) ebenda, S.106, (13) vgl. Schöppler, Hermann: Eine Medizinalordnung der Freien Reichsstadt Regensburg. In Sudhoff 1908, S.127, (14) vgl. Stichler 1908, S.286ff, (15) Beneke, O.: Von unehrlichen Leuten. Cultur-historische Studien und Geschichten aus vergangenen Tagen deutscher Gewerbe und Dienste mit besonderer Rücksicht auf Hamburg. 2. Aufl. Berlin 1889, S.58, (16) vgl. Kopecny, A.: Fahrende und Vagabunden. Ihre Geschichte, Überlebenskünste, Zeichen und Straßen. Berlin 1980, S.56, (17) zit.n. Hampe 1902, S.107, (18) Grete de Francesco: Die Macht des Charlatans. Basel 1937, S.32f


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Mittwoch, 29. Juli 2009

Von einem der auszog ...

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... um in der Fremde sein Glück zu machen.

Die Budenzauberer auf den Jahrmärkten repräsentierten in der Regel die zweite Garnitur ihrer Zunft; die Stars der Szene unterhielten im 19. Jahrhundert ihr Publikum in Salons und Theatern. Eine Zauberbude konnte aber auch als Sprungbrett für eine ganz große Karriere dienen:
Der Münsteraner Alexander Heimbürger (1819 - 1909) beschäftigte sich schon als Kind mit mechanischen und physikalischen Experimenten. Ein Gastspiel des berühmten Zauberers Ludwig Döbler im Stadttheater beeindruckte den 16-Jährigen schließlich so sehr, dass er autodidaktisch erste Grundlagen des "Zauberhandwerks" erlernte und schließlich seine Stelle als Rechtsanwaltsgehilfe aufgab, um sich nach einer abenteuerlichen Reise mittellos dem "Professor der Magie" Friedrich Becker anzuschließen und mit ihm über Messen und große Jahrmärkte zu ziehen.
Heimbürger hatte dabei u.a. die Funktion eines "Vorreisenden": Er suchte Quartiere, gab den Druck von Werbezetteln in Auftrag, engagierte die Musiker und ließ nach vorhandenen Plänen von ansässigen Handwerkern die große Schaubude bauen.
Eine weitere Aufgabe war das Verfassen positiver Besprechungen der Programme, die den Zeitungen der Auftrittsorte zugespielt wurden. Solche euphorischen Berichte vermeintlicher "Kunstfreunde" über die Auftritte von Zauberern, Kunstreitergesellschaften u. dergl. waren im 19. Jahrhundert ein sehr verbreitetes Werbemittel.
Bei Gastspielen auf Jahrmärkten stellte die Parade allerdings die wichtigste Reklame dar. Heimbürger vernachlässigte dieses Werbeinstrument bei seinen ersten Schritten in die Selbstständigkeit nach der Trennung von Becker zunächst:
"Ein fürchterliches Chaos von allen möglichen musikalischen und unmusikalischen Tönen erfüllte am Nachmittage die Luft. Die einzelnen Budenbesitzer überboten sich im Hervorbringen des tollsten Spectacels: Ausrufer, Harlekine, Fanfaronadenmacher schrieen sich heiser, das herbeigeströmte schaulustige Publikum in die einzelnen Buden hinein zu persuadiren. Auch der uns gegenüber befindliche Concurrent hatte einen solchen classischen Redner nicht verschmäht, der von zwei lebensgroßen Automaten unterstützt war, von denen der eine die Trompete blies und der andere die Trommel dazu schlug. Mit der herkömmlichen lebhaften Gesticulation machte er auf die Sehenswürdigkeiten seiner Bude aufmerksam: 'Nur herein, nur herein, meine Herrschaften!' war seine stereotype Redeweise; 'was Sie hier vor der Bude sehen, ist nur ein Kinderspiel. Sie müssen hereintreten, um das non plus ultra des menschlichen Erfindungsgeistes zu bewundern. Hier ist man der Welt um hundert Jahre vorausgeeilt. Was Kunst und Wissenschaft Außerordentliches zu leisten vermögen, davon kann man hier für wenig Groschen sich überzeugen. Man muß es sehen, um zu glauben! Treten Sie ein, meine Herrschaften, sogleich wird die Vorstellung beginnen. (...) ' Darauf stieß der Automat seine Trompete, der Tambour rührte die Trommel und die neugierige Menge drängte sich durch die zurückgeschlagene, mit weißen Fransen besetzte, rothe Gardine zu einer mit einer mächtigen Goldkette behangenen corpulenten Dame, die das Amt eines Cassirers verwaltete, und die sich während der Verlockungen und lauten Anpreisungen des Herangueurs unter anscheinend großem Gleichmuth mit einem grauen Papagei unterhielt, der in einem glänzenden Käfige auf dem Tisch stand.
Wie uns beiden armen Kunstgenossen bei sothanem Schauspiel zu Muthe war, davon macht sich ein gewöhnlicher Erdenbürger wohl kaum ein Begriff.
Wir versuchten ein verächtliches, mitleidiges Lächeln heraufzubeschwören, vermochten aber kaum den neidischen Ingrimm zu verbergen, als wir sahen, wie die angesammelte Menge sich beeilte, die angepriesenen Wunder in Augenschein zu nehmen, während ein frisches Publikum herbeiströmte, um die mit großen Schildern und Malereien bedeckte Bude sich anzusehen.
In gleicher Weise waren auch die übrigen Buden mit entsprechenden Reklamemitteln bedacht. Nur wir allein befanden uns inmitten einer höchst nüchternen Verfassung. Vertrauend auf unsere Leistungen, die sich nach unserer unmaßgeblichen Meinung durch ihre Gediegenheit selbst Bahn brechen mußten, hatten wir nur einige unserer Ankündigungszettel an die Außenseite der Bude angebracht, jedoch ein recht gutes Orchester engagirt, welches ab und zu sich innerhalb derselben hören ließ. Hin und wieder umstanden einige Neugierige unseren Zettel, wurden aber alsbald durch die sich in der Nähe bietenden wirksameren Anziehungsmittel von uns abgelockt." *
Nur der Zusammenschluss mit einer Seiltänzergesellschaft noch auf dem selben Jahrmarkt bewahrte Heimbürger und seinen Kompagnon vor dem völligen Ruin. Die beiden beendeten danach ihre erfolglose Zusammenarbeit und Heimbürger schloss sich Schaustellern an, die tagsüber eine "Glasspinnerei" betrieben und in den Abendvorstellungen 'hydraulische und pyrotechnische Gasexperimente' präsentierten, die Heimbürger mit seinen Zaubereien bereicherte.
Während eines Gastspiels in Hamburg fand der gewandte und begabte Heimbürger den Weg in herrschaftliche Salons und schon wenig später zählte "Herr Alexander" zu den erfolgreichsten Zauberern Deutschlands, der mit einem ständig wachsenden anspruchsvollen Repertoire große Säle und Theater vornehmlich in Norddeutschland füllte und von bedeutenden Persönlichkeiten zu Privatvorstellungen eingeladen wurde.
Alexander Heimbürger wollte aber "weltberühmt" werden und wagte sich im Alter von 24 Jahren auf eine Gastspielreise nach Amerika, von der er nach 11 Jahren tatsächlich als reicher und berühmter Mann nach Münster zurückkehrte. Er konnte fortan als gesellschaftlich vielseitig engagierter Privatier leben, wobei ihm der Verkauf eines "Wund- und Abführmittels" zusätzliche Einnahmen verschaffte. 
Zu Heimbürgers Bewunderern zählte  Houdini, der 1903 eigens nach Münster kam, um seinen verehrten Kollegen zu besuchen - und vielleicht bezog sich sogar Hermann Melville in folgendem Passus aus "Moby Dick" auf den Zauberer aus Westfalen:
"Go and gaze upon the iron emblematical harpoons round yonder lofty mansion, and your question will be answered. Yes; all these brave houses and flowery gardens came from the Atlantic, Pacific, and Indian oceans. One and all, they were harpooned and dragged up hither from the bottom of the sea. Can Herr Alexander perform a feat like that?" 

Heimbügers Grab auf Münsters Zentralfriedhof
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* Alexander Heimbürger: Ein moderner Zauberer. Erster Band. Münster 1882, S.263ff


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Donnerstag, 18. Juni 2009

kopflos



Mein vierter Aushang im Stil plakativer amerikanischer Sideshow-Banner hat einen weiteren Schaubuden-Klassiker zum Thema, die Frau ohne Kopf.
Die angedeutete Präsentationsform dieser einfachen, aber effektvollen Spiegel-Illusion war durchaus typisch und steigerte ihre augenzwinkernd-makabre Ausstrahlung: Der kopflose Körper wurde durch verschiedene "medizinische Gerätschaften" mit einer Vielzahl von Kontrollleuchten und Anzeigen am Leben erhalten, wobei der Vorführer dieses "medizinischen Rätsels" als Arzt in Erscheinung trat.

Inspiriert wurde ich diesmal durch zwei Bilder Frida Kahlos: Die Vorlage für die Kopflose war ein Bildnis ihrer Schwester Cristina, der Mediziner ist Fridas Mann und Cristinas zeitweiliger Liebhaber Diego Rivera.

Sammlung Nagel