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... um in der Fremde sein Glück zu machen.
Die Budenzauberer auf den Jahrmärkten repräsentierten in der Regel die zweite Garnitur ihrer Zunft; die Stars der Szene unterhielten im 19. Jahrhundert ihr Publikum in Salons und Theatern. Eine Zauberbude konnte aber auch als Sprungbrett für eine ganz große Karriere dienen:
Der Münsteraner Alexander Heimbürger (1819 - 1909) beschäftigte sich schon als Kind mit mechanischen und physikalischen Experimenten. Ein Gastspiel des berühmten Zauberers Ludwig Döbler im Stadttheater beeindruckte den 16-Jährigen schließlich so sehr, dass er autodidaktisch erste Grundlagen des "Zauberhandwerks" erlernte und schließlich seine Stelle als Rechtsanwaltsgehilfe aufgab, um sich nach einer abenteuerlichen Reise mittellos dem "Professor der Magie" Friedrich Becker anzuschließen und mit ihm über Messen und große Jahrmärkte zu ziehen.
Heimbürger hatte dabei u.a. die Funktion eines "Vorreisenden": Er suchte Quartiere, gab den Druck von Werbezetteln in Auftrag, engagierte die Musiker und ließ nach vorhandenen Plänen von ansässigen Handwerkern die große Schaubude bauen.
Eine weitere Aufgabe war das Verfassen positiver Besprechungen der Programme, die den Zeitungen der Auftrittsorte zugespielt wurden. Solche euphorischen Berichte vermeintlicher "Kunstfreunde" über die Auftritte von Zauberern, Kunstreitergesellschaften u. dergl. waren im 19. Jahrhundert ein sehr verbreitetes Werbemittel.
Bei Gastspielen auf Jahrmärkten stellte die Parade allerdings die wichtigste Reklame dar. Heimbürger vernachlässigte dieses Werbeinstrument bei seinen ersten Schritten in die Selbstständigkeit nach der Trennung von Becker zunächst:
"Ein fürchterliches Chaos von allen möglichen musikalischen und unmusikalischen Tönen erfüllte am Nachmittage die Luft. Die einzelnen Budenbesitzer überboten sich im Hervorbringen des tollsten Spectacels: Ausrufer, Harlekine, Fanfaronadenmacher schrieen sich heiser, das herbeigeströmte schaulustige Publikum in die einzelnen Buden hinein zu persuadiren. Auch der uns gegenüber befindliche Concurrent hatte einen solchen classischen Redner nicht verschmäht, der von zwei lebensgroßen Automaten unterstützt war, von denen der eine die Trompete blies und der andere die Trommel dazu schlug. Mit der herkömmlichen lebhaften Gesticulation machte er auf die Sehenswürdigkeiten seiner Bude aufmerksam: 'Nur herein, nur herein, meine Herrschaften!' war seine stereotype Redeweise; 'was Sie hier vor der Bude sehen, ist nur ein Kinderspiel. Sie müssen hereintreten, um das non plus ultra des menschlichen Erfindungsgeistes zu bewundern. Hier ist man der Welt um hundert Jahre vorausgeeilt. Was Kunst und Wissenschaft Außerordentliches zu leisten vermögen, davon kann man hier für wenig Groschen sich überzeugen. Man muß es sehen, um zu glauben! Treten Sie ein, meine Herrschaften, sogleich wird die Vorstellung beginnen. (...) ' Darauf stieß der Automat seine Trompete, der Tambour rührte die Trommel und die neugierige Menge drängte sich durch die zurückgeschlagene, mit weißen Fransen besetzte, rothe Gardine zu einer mit einer mächtigen Goldkette behangenen corpulenten Dame, die das Amt eines Cassirers verwaltete, und die sich während der Verlockungen und lauten Anpreisungen des Herangueurs unter anscheinend großem Gleichmuth mit einem grauen Papagei unterhielt, der in einem glänzenden Käfige auf dem Tisch stand.
Wie uns beiden armen Kunstgenossen bei sothanem Schauspiel zu Muthe war, davon macht sich ein gewöhnlicher Erdenbürger wohl kaum ein Begriff.
Wir versuchten ein verächtliches, mitleidiges Lächeln heraufzubeschwören, vermochten aber kaum den neidischen Ingrimm zu verbergen, als wir sahen, wie die angesammelte Menge sich beeilte, die angepriesenen Wunder in Augenschein zu nehmen, während ein frisches Publikum herbeiströmte, um die mit großen Schildern und Malereien bedeckte Bude sich anzusehen.
In gleicher Weise waren auch die übrigen Buden mit entsprechenden Reklamemitteln bedacht. Nur wir allein befanden uns inmitten einer höchst nüchternen Verfassung. Vertrauend auf unsere Leistungen, die sich nach unserer unmaßgeblichen Meinung durch ihre Gediegenheit selbst Bahn brechen mußten, hatten wir nur einige unserer Ankündigungszettel an die Außenseite der Bude angebracht, jedoch ein recht gutes Orchester engagirt, welches ab und zu sich innerhalb derselben hören ließ. Hin und wieder umstanden einige Neugierige unseren Zettel, wurden aber alsbald durch die sich in der Nähe bietenden wirksameren Anziehungsmittel von uns abgelockt." *
Nur der Zusammenschluss mit einer Seiltänzergesellschaft noch auf dem selben Jahrmarkt bewahrte Heimbürger und seinen Kompagnon vor dem völligen Ruin. Die beiden beendeten danach ihre erfolglose Zusammenarbeit und Heimbürger schloss sich Schaustellern an, die tagsüber eine "Glasspinnerei" betrieben und in den Abendvorstellungen 'hydraulische und pyrotechnische Gasexperimente' präsentierten, die Heimbürger mit seinen Zaubereien bereicherte.
Während eines Gastspiels in Hamburg fand der gewandte und begabte Heimbürger den Weg in herrschaftliche Salons und schon wenig später zählte "Herr Alexander" zu den erfolgreichsten Zauberern Deutschlands, der mit einem ständig wachsenden anspruchsvollen Repertoire große Säle und Theater vornehmlich in Norddeutschland füllte und von bedeutenden Persönlichkeiten zu Privatvorstellungen eingeladen wurde.
Alexander Heimbürger wollte aber "weltberühmt" werden und wagte sich im Alter von 24 Jahren auf eine Gastspielreise nach Amerika, von der er nach 11 Jahren tatsächlich als reicher und berühmter Mann nach Münster zurückkehrte. Er konnte fortan als gesellschaftlich vielseitig engagierter Privatier leben, wobei ihm der Verkauf eines "Wund- und Abführmittels" zusätzliche Einnahmen verschaffte.
Zu Heimbürgers Bewunderern zählte Houdini, der 1903 eigens nach Münster kam, um seinen verehrten Kollegen zu besuchen - und vielleicht bezog sich sogar Hermann Melville in folgendem Passus aus "Moby Dick" auf den Zauberer aus Westfalen:
"Go and gaze upon the iron emblematical harpoons round yonder lofty mansion, and your question will be answered. Yes; all these brave houses and flowery gardens came from the Atlantic, Pacific, and Indian oceans. One and all, they were harpooned and dragged up hither from the bottom of the sea. Can Herr Alexander perform a feat like that?"
Heimbügers Grab auf Münsters Zentralfriedhof |
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* Alexander Heimbürger: Ein moderner Zauberer. Erster Band. Münster 1882, S.263ff
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