Samstag, 9. November 2013

Arletty im Bade


Der Jahrmarkt mit seinen Schaustellungen faszinierte zahlreiche Literaten und bildende Künstler von Rang als eine unwirklich anmutende Gegenwelt, die sie zu einer Vielzahl künstlerischer Werke inspirierte.
Auch dem Film diente der Jahrmarkt immer wieder als Kulisse, so in Marcel Carnés Meisterwerk "Kinder des Olymp" aus den 1940er Jahren. Die Protagonistin Garance, gespielt von der großartigen Arletty, tritt zu Beginn des Film in einem "Piktus"* auf: In einem mit Wasser gefüllten Zuber sitzend, wird sie von Männern aus der Unterschicht begafft, wobei sie die gleiche unnahbare Würde ausstrahlt, mit der sie im Verlauf des Films allen Männern, ob Gaunern, Künstlern oder Adeligen, begegnet.

Ein anderer Klassiker der Filmgeschichte greift die geheimnisvolle Aura, die einige Schaubuden umgab, in künstlerisch übersteigerter Form auf. Der Somnambule in Robert Wienes "Das Cabinet des Dr. Caligari" von 1920 hat dabei reale Vorbilder in Schaubuden, in denen "Hellseher" mit Hilfe des "Somnambulismus" Gedanken zu lesen vorgaben, versteckte Gegenstände aufspürten und manipulierten oder auch in die Zukunft schauten.**


 "Rummelplatz der Liebe" (1954), Illustrierte Film-Bühne Nr. 2395
Als populäre, vorrangig die Schaulust ansprechende anspruchslose Unterhaltungsform waren der "Rummel" und nicht zuletzt die Schaubuden aber ebenso häufig Thema von Filmen simplerer Machart. Auch hier erscheint der Jahrmarkt oft als Gegenwelt und mehr noch als Ort, in den mehr oder weniger unterdrückte Wünsche und Sehnsüchte projiziert werden. Erotik und Exotik spielen dabei zentrale Rollen: die vermeintliche Ungebundenheit der Artisten und Schausteller, ihre romantisierend dargestellte "unstete" Lebensweise, aber auch sittlich-moralische Grenzüberschreitungen, Intrigen und Eifersucht.


Als der Film "Looping" im Jahr 1980 gedreht wurde, lagen die wenigen verbliebenen Schaubuden "in den letzten Zügen". Obwohl dies nur der Hintergrund der eigentlichen, recht dünnen Story ist, beschreibt der Film das Ende der Ära der Schaubuden sehr treffend: Die Darbietungen einer heruntergekommenen Bude ziehen nicht mehr und nicht zuletzt die Kunstschützendarbietung der Prinzipals Jonny (Hans-Christian Blech) ist für die wenigen angetrunkenen Gäste nur noch eine Lachnummer. Erst als man eine Striptease-Show präsentiert, kann man kurzfristig wieder Publikum anziehen.


Heute werden die Jahrmarkts-Darbietungen vornehmlich in einer meist nostalgisch verklärten Rückschau betrachtet, wobei ein skurriler, theatralischer Budenzauber oftmals im Mittelpunkt steht, der den Originalen im Ansatz durchaus entspricht, wenngleich er dort meist in weit profanerer Weise in Erscheinung trat. Terry Gilliams "Das Kabinett des Dr. Parnassus" (2009) - eine Mischung aus Schaubude und barocker Wanderbühne - ist auch eine Hommage an diesen vergangenen Budenzauber.


* siehe dazu www.schaubuden.de, Kapitel 8, S.149f
** siehe dazu www.schaubuden.de, Kapitel 2, S. 44f


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