Mittwoch, 6. Januar 2016

Große Versprechen


"Noch nie dagewesen"
"Und was ich Ihnen nun aber zeigen wollte, meine Herrschaften,
das Phänomen einer Kreuzung zwischen Dogge und Kaninchen,
so kann ich Ihnen dieses Phänomen leider nicht zeigen, indem
es erkrankt ist. Aber das Kaninchen und die Dogge, genannt das
rätselhafte Elternpaar - das muß man gesehen haben!"
(Simplicissimus 1908, Sammlung Nagel)


Die „Parade“, „die Schau vor der Schau“ insbesondere kleinerer Buden, inspirierte zahlreiche Literaten, Komponisten*, Maler und Grafiker. Oftmals gaben die phantastischen , großspurigen Anpreisungen vermeintlicher Attraktionen, Sensationen und „Weltwunder“ Anlass zu humoristischen Auseinandersetzungen mit dem „Budenzauber“, so bei Karl Valentin**, Heinrich Zille oder Erich Kästner:

Wer hat noch nicht? Wer will noch mal?

Na, wer hat noch nicht? Na, wer will noch mal?
Hier dreht sich der Blödsinn im Kreise!
Hier sehen Sie beispielsweise
den Türkisch sprechenden Riesenwal
und die Leiche im schwarzen Reichswehrkanal!
Und das alles für halbe Preise!

Na, wer will noch mal? Na, wer hat noch nicht?
Hier staunen Sie, bis Sie platzen!
Hier sehen Sie die boxenden Katzen!
Hier sehn Sie die Dame ohne Gesicht
und werden sich wundern, womit sie spricht ...
Feixt nicht, ihr dämlichen Fratzen!

Bild Nummer Eins - geschätztes Publikum -
zeigt uns den Massenmörder Melber.
Das brachte neunundneunzig fremde Menschen um!
Und als hundertsten sich selber.
Der Arme ...
                                                                                                                                            Herz auf Taille. Leipzig 1928)


Die triste Wirklichkeit, die bei Zille dabei letztlich Thema war, stand bei vielen Künstlern im Vordergrund. Bekannte Beispiele hierfür schufen u.a. Fernand Pelez, Hans Baluschek oder Daumier.
Dem inspirierenden Gegensatz zwischen Schein und Sein wurden von einigen Künstlern dabei metaphorische oder auch philosophische Dimensionen abgewonnen,** bei anderen stand ein (sozialkritischer) Realismus im Vordergrund.

In illustrierten Zeitschriften wurde das Thema in der Regel von der heiteren Seite betrachtet, wobei nicht zuletzt die Methoden der Rekommandeure auf's Korn genommen wurden, die gleichsam für die Durchschaubarkeit verbreiteter Werbemechanismen stehen.
Darüber hinaus lieferte die Schaubudenparade eine ideale Vorlage für eine ganze Reihe politischer Karikaturen in satirischen Zeitschriften Frankreichs, Deutschlands und Englands.

Im Eifer
Schaubudenbesitzer: „Eintreten! Eintreten, meine Herrschaften, benützen Sie 
die Zeit und Gelegenheit! Was Sie hier sehen, ist kein gewöhnlicher Schwindel!“
(aus einer Ausgabe der Meggendorfer Blätter aus dem Jahr 1897, Sammlung Nagel)


H.G. Ibels

"Eintreten, meine Herrschaften, nur eintreten! Hier ist zu sehen die
deutsche Herrlichkeit seit zwanzig Jahren. Jeder Besucher erhält
for zehn Fenniche ein rosarotes Glas, wodurch es noch ganz bedeutend
viel schöner wird. Hereinspaziert, meine Herrschaften! Wem's nicht
gefällt, der kann ja wo anders hin gehen, wo's schöner is. Allens
rosarot meine Herrschaften!"

(Simplicissimus 1906, Sammlung Nagel)


* Das bekannteste Beispiel ist das Ballett "Parade" von Satie, Picasso und Cocteau.
** Mit "Valentins Weltwunder" ist bereits ein eigener Post erschienen.
*** Siehe dazu den Beginn der Einleitung von „Schaubuden. Geschichte und Erscheinungsformen“ (www.schaubuden.de).



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