Cadel 1901 |
Eugene Cadel zählte zu den großartigen französischen Karikaturisten, die um die vorletzte Jahrhundertwende in Zeitschriften wie "Le Rire", "Le Sourire" oder "Assiette au Beurre" nicht zuletzt oftmals harsche Sozialkritik übten. Zu den Unterschichten, deren Lage sie dabei schonungslos und nicht selten mit bitterer Ironie darstellten, gehörten wie zu allen Zeiten auch Artisten, die sich auf den Straßen und Plätzen der Städte bestenfalls in armseligen Schaubuden oder schäbigen "Spelunken" produzierten. Ähnlich ihrem deutschen Kollegen Heinrich Zille nahmen sich Eugene Cadel und Henri-Gabriel Ibels der umherziehenden Unterhaltungskünstler, den "Saltimbanques", in all ihren Erscheinunsgformen besonders häufig an.
Karl Marx zählte diese "Herumtreiber", die "nie ihren Tagediebcharakter verleugnen" zum "Lumpenproletariat", wobei die heftigen, undifferenzierten Auslassungen des großen Klassentheoretikers letztendlich nur kleinbürgerliche Vorurteile und uralte Ausgrenzungen widerspiegeln,* die zum Teil bis heute fortwirken. Zum Lumpenproletariat, "die ganze unbestimmte, aufgelöste, hin- und hergeworfene Masse, die die Franzosen la bohème nennen", zählte Marx "neben zerrütteten Lebeherren (...) von zweideutiger Herkunft, verkommene und abenteuerliche Ableger der Bourgeoisie, Vagabunden, entlassene Soldaten, entlassene Zuchthaussträflinge, (...) Gauner, Gaukler, (...), Taschendiebe, Taschenspieler, Spieler, Zuhälter, (...), Literaten, Orgeldreher, Lumpensammler, Scherenschleifer, Kesselflicker und Bettler."
Cadel 1901 |
Ferdinand Louis Gottlob 1902 |
Henry Mirande 1904 |
Abbildungen: Sammlung Nagel
* Diese Vorurteile und Ausgrenzungen haben ihre Wurzeln in der wortwörtlichen "Verteufelung" der mittelalterlichen "Spielleute" durch die Kirche, aber auch in der Verachtung, mit der den fahrenden Unterhaltungskünstlern durch die Gesellschaft per se begegnet wurde. Zudem stand ihr "ausschweifendes, unstetes Leben im lebhaften Gegensatz zur festen, statischen Ordnung der mittelalterlichen Ständegesellschaft". (Werner Danckert) "Mittelalterliche Herrschaftsmethoden setzen eine in ihren Schichten und Gruppen immobile Gesellschaft voraus, wenn sie wirksam sein sollen." (Wolfgang Hartung)
Seit Beginn der frühen Neuzeit wurden Musikanten, Artisten und Mimen nicht mehr unter dem Begriff "Spielleute" zusammengefasst, sondern es wurde zunehmend zwischen Gauklern, Komödianten und Musikanten unterschieden. Auf die Artisten sowie den Großteil der Komödianten und der Spielleute mit einem niedrig eingestuften Instrumetarium als Teil des "Fahrenden Volkes" wurden die Ressentiments von Kirche, Obrigkeit und Bevölkerung gegenüber den niederen Spielleuten des Mittelaters übertragen.
Im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit rechnte man die Gaukler unterschiedslos zum "Geschlecht" der zum Massenproblem gewordenen Scharen fahrender Vagabunden: Bettler, Scharlatane, streunende Priester ("Lotterpfaffen"), Huren, Diebe usw.
Die Gauklerkünste wie Akrobatik, Possenreißerei oder Taschenspiel zählten zu den Überlebensstrategien, die die steigende Zahl Fahrender ausübte. "Und die neuen Armen - (...) - die draußen so erbärmlich um Almosen heischen, und Schauspieler wie Ror- und alle anderen Gaukelaffen! Mit Masken, Tricks, artistischen Verrenkungen und falschen Liedern heischen sie um das Mitleid der ahnungslosen Kirchgänger. Die haben bei den Spielleuten 'studiert'." (zit.n. Boehncke/ Johannsmeier)
Als Teil der Vaganten, die wie im Mittelalter als ehrlos galten, wurde den neuzeitlichen Gauklern das Heimatrecht verweigert und sie waren von der Erlangung bürgerlicher Berufe ausgeschlossen. Die Fahrenden wurden oftmals auch verallgmeindernd als "Gauner" bzw. "Jauner" bezeichnet. Da das Vagieren eh unter Strafe stand und die Einnahmen von Artisten oder Musikanten häufig nicht zum Leben reichten, waren kleinere Gelegenheitsdiebstähle oftmals überlebensnotwendig. Doch auch wenn sie sich nichts zuschulden kommen ließen, waren sie nicht vor Verfolgung geschützt. "Wurde irgendwo ein Diebstahl oder Einbruch angezeigt, versuchte man sofort, der gerade die Gegend durchstreifenden Vaganten habhaft zu werden, auch wenn es ansonsten keine konkreten Hinweise auf die Täterschaft gab." (Carsten Küther)
Selbst zu Beginn des 19. Jahrhunderts änderte sich für die Artisten, Puppenspieler, Schausteller und Wanderkomödianten wenig, auch wenn sie die "beliebtesten Landgänger" (Angelika Kopecny) waren. Ihre Künste waren nicht sehr geachtet, aber beim Volk beliebt, außerdem wurde ihnen im Gegensatz zu anderen Vaganten zunehmend weniger der Vorwurf der "Faulheit" bzw. der Arbeitsunwilligkeit gemacht. Trotzdem gab es nicht zuletzt auf Druck von Kirche und bürgerlichen Sittenwächtern zahlreiche Verbote des Vorstellungsgebens und Verordnungen gegen die fahrenden Unterhaltungskünstler.
Literatur:
Werner Dankert: Unehrliche Leute. Die verfemten Berufe. Bern 1963
Wolfgang Hartung: Die Spielleute. Eine Randgruppe in der Gesellschaft des Mittelalters. Wiesbaden 1982
H. Boehncke und R. Johannsmeier: Das Buch der Vaganten. Köln 1987
Carsten Küther: Menschen auf der Straße. Vagierende Unterschichten in Bayern, Franken und Schwaben in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts. Göttingen 1983
Angelika Kopecny: Fahrende und Vagabunden. Berlin 1980
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